„Es ist noch nicht jedem klar, was wir für eine Arbeit leisten“

Interview Pflege COVID-19 - Joanna Tammert
Joanna Tammert über ihren Job als examinierte Altenpflegerin

Joanna Tammert arbeitet in einem Beruf, den wir alle spätestens seit 2020 als „systemrelevant“ kennen. Denn die 30-jährige ist als examinierte Altenpflegerin in einem Hospiz im Heilbronner Landkreis tätig. Ein Job, der ohnehin schon ziemlich belastend sein kann – und in dem mit Beginn der COVID-19-Pandemie noch weitere Herausforderungen hinzukamen. Wir haben mit Joanna über ihre Arbeit auf der Palliativstation, Corona-Impfungen und ihre Hoffnungen fürs neue Jahr gesprochen.

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Palliative Pflege – was ist das eigentlich?

Für alle, die sich gar nichts darunter vorstellen können: Was genau sind eigentlich eine Palliativstation und ein Hospiz? Und welche Aufgaben übernehmen die Mitarbeiter*innen dort?
Wir sind spezialisierte Einrichtungen zur Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen. Hier stehen Erhalt der Lebensqualität, Schmerzlinderung, Nähe und Zuwendung im Vordergrund. Die Aufgaben der Mitarbeiter*innen sind vielschichtig, sie bestehen darin dem kranken / sterbenden Menschen die letzten Bedürfnisse und Wünsche weitgehend zu erfüllen. Im Hospiz können unheilbar kranke Menschen ihre letzte Lebenszeit verbringen. Unsere Aufgaben sind die physische, soziale, spirituelle und vor allem auch psychische Versorgung. Dazu gehören die psychosoziale und palliative Beratung, sowie medizinisch-pflegerische Versorgung, außerdem Hilfe im Alltag, Dasein, Trost spenden. Auch Angehörige und die Familie stehen im Fokus.

Wie hat sich der Arbeitsalltag in deiner Einrichtung seit Beginn der COVID-19-Pandemie verändert?
Wir halten uns an die vorgegebenen Maßnahmen und Hygieneregeln, die beschlossen werden und achten auch auf die Regelungen in Bezug auf Besucherzahl und Besuchszeiten. Wenn ein Mensch sterbend ist, dürfen sich Angehörige und Familie so viel Zeit nehmen wie sie brauchen oder ihre Liebsten beim Sterben begleiten.

Pflegeberufe in Zeiten von COVID-19

Besonders mit Beginn der zweiten Welle sind medizinische Einrichtungen noch einmal verstärkt in den Fokus gerückt, da sich das Virus hier besonders schnell verbreitet hat. Wie erlebst du die Situation in deinem Job?
Ich kann nur von der Einrichtung sprechen in der ich arbeite. Wir werden regelmäßig getestet und halten uns wie gesagt an die Vorgaben, Regelungen sowie Maßnahmen. Wir schützen unsere Patienten und vor allem uns selbst. Mittlerweile ist es auch so, dass Besucher sich vorher testen lassen müssen. Neuaufnahmen ebenfalls. Mich selbst hat es vor zwei Wochen getroffen: Ich wurde positiv mit Symptomen getestet und das habe ich nicht aus meiner Einrichtung. Da war ich tatsächlich die erste mit dem Virus und habe zum Glück niemanden meiner Kolleg*innen angesteckt.

Woran liegt es deiner Meinung nach, dass die Lage in medizinischen Einrichtungen so drastisch ist? Hätte das verhindert oder zumindest eingedämmt werden können?
Ich denke, den meisten war der Ernst der Lage nicht bewusst und als sie es dann begriffen hatten, war es zu spät. Aber das ist jetzt reine Spekulation. Ob es tatsächlich verhindert oder eingedämmt werden hätte können weiß denke ich keiner.

Hat das Jahr 2020 beeinflusst, wie du deinen Job siehst? Machst du ihn weiterhin gerne oder spielt da jetzt auch ein bisschen Resignation oder Frust mit rein?
Nein, keinesfalls. Ich sehe ihn weiterhin positiv und möchte diese Arbeit gerade keineswegs missen. Frust oder Resignation gibt es bei mir nicht. Da gibt es bestimmt auch andere Pfleger*innen, die nicht allzu viel Glück mit ihrem Arbeitgeber haben oder unter anderen Bedingungen arbeiten müssen. Zumal wir tatsächlich froh sein dürfen, dass wir in einer Branche arbeiten, in der wir uns über eine Kündigung, Insolvenz oder andere Probleme, die die Pandemie mit sich bringt, keine Sorgen und Gedanken machen müssen. Auch wenn es gerade harte Zeiten und Bedingungen sind.

Mehr Unterstützung für Pflegeberufe?

In Bezug auf medizinische und pflegende Berufe wird ja schon seit Jahren gesprochen, dass die Jobs zu wenig gefördert werden – sowohl finanziell als auch was mehr Personal angeht. Denkst du, dass sich da in naher Zukunft etwas ändern könnte, weil jetzt jedem vor Augen geführt wurde, wie wichtig diese Jobs sind?
Ich denke, es ist noch nicht jedem klar, was wir für eine Arbeit leisten. Was das alles mit sich bringt, worauf wir manchmal verzichten, ohne zu jammern. Auch bei denen, die anfangen wollen diesen Job zu machen, im medizinischen oder pflegerischen Bereich, sind sich oft nicht alle bewusst, was es heißt, eine Pflegekraft zu sein. Ich habe schon einige erlebt, die das Handtuch geschmissen haben, weil wie man so schön immer sagt „Hintern putzen“ nichts für sie ist. Ob sich finanziell was ändert steht in den Sternen. Wünschen würde ich es mir für all die Pfleger*innen und Fachkräfte in Regionen oder Bundesländern, die noch nicht so weit sind wie hier in Baden-Württemberg. Wer das Gefühl hat, nicht gefördert zu werden, sollte sich einen passenden Arbeitgeber suchen. Schwierigkeiten einen Job zu finden wird keiner haben.

„Wer das Gefühl hat, nicht gefördert zu werden, sollte sich einen passenden Arbeitgeber suchen.“

Was vermisst du konkret in deinem Beruf? Gibt es da bestimmte Sachen, die sich ändern sollten?
Konkret vermisse ich nichts. Aber was mir auffällt ist, dass Angehörige oder Familienmitglieder von Patient*innen oder Bewohner*innen immer fordernder werden, teilweise ungehalten und undankbar – was ich persönlich schade finde. Viele wissen es nicht mehr wertzuschätzen oder können es nicht.

Impfstoff & Co. – Was bringt 2021?

Aktuell macht die Auslieferung erster Corona-Impfstoffe etwas Hoffnung. Wie werden palliative Einrichtungen – wie die, in der du arbeitest – eigentlich in der Impfreihenfolge berücksichtigt?
Wir werden all den anderen medizinischen und pflegerischen Einrichtungen gleichgestellt und genauso berücksichtigt.

Wurdest du schon geimpft oder willst du dich impfen lassen, sobald es für dich möglich ist?
Nein, ich wurde nicht geimpft und ich werde mich auch in naher Zukunft vorerst nicht impfen lassen. Ich bin definitiv keine Impfgegnerin (!!!), aber mir ist das noch nicht ganz so durchschaubar. Da warte ich vorerst noch ab.

„Unsere aller Situation ist so wie sie ist, wir können nur das Beste daraus machen.“

Wie blickst du ins neue Jahr? Gibt es da etwas, dass dir Hoffnung macht?
Ins neue Jahr blicke ich natürlich positiv und lasse mich überraschen. Die Pandemie ist nicht mehr rückgängig zu machen. Unsere aller Situation ist so wie sie ist, wir können nur das Beste daraus machen, einander unterstützen und da sein für andere, die es momentan nicht so einfach haben. Wie zum Beispiel unsere Kleingewerbe, Kosmetiker, Veranstaltungsbranchen und was es noch alles gibt.

Danke dir vielmals für deine Antworten – und für die Arbeit, die du täglich machst.

[FD]