„Psychische Gesundheit ist leider immer noch ein Tabuthema“

Interview - Psychologin Jennifer Pilz (Psychische Gesundheit)

Jennifer Pilz ist Heilpraktikerin für Psychotherapie im Team von langlife.de, einer MPU- und Lebensberatung. Ihre Klienten unterstützt sie vor allem dabei, problemauslösendes Verhalten zu erkennen und zu verändern. Sich diese Art von Hilfe zu suchen ist für viele Betroffene immer noch eine große Hürde. Und diese ist in Zeiten von Social Distancing nur höher geworden. Welche Auswirkungen die aktuelle Lage auf unsere psychische Gesundheit haben kann und wie man Hilfe findet, darüber haben wir mit Jennifer gesprochen.


Gibt es seit Beginn der Corona-Pandemie bestimmte Themen, mit denen die Menschen, mit denen du arbeitest, zu dir kommen?
Es sind vor allem Themen wie soziale Sicherheit, Gesundheit und sehr viel Angst. Die Menschen als soziale Wesen brauchen Kontakte. Durch die Isolation und Quarantänemaßnahmen wurden diese eingeschränkt, was Folgen für die psychische Gesundheit haben kann. Dazu kommen die Angst vor der Ansteckung, Existenzängste und auch die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie. Wir befinden uns gerade alle in einer Situation, die für uns vollkommen neu ist, die wir so noch nicht erlebt haben und die sehr beängstigend ist. Die Pandemie hat tiefgreifend in unser Leben eingegriffen und es verändert. Unfreiwillige Veränderungen wirft viele Menschen anfänglich aus ihrer Sicherheit und daran gilt es für mich zu arbeiten.

Risikifaktoren in der Pandemie

Welche Aspekte in unserem neuen Alltag siehst du als größte Risikofaktoren, die psychische Probleme hervorrufen oder verstärken können?
Die Zahl der psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen hat deutlich zugenommen in der Pandemiezeit. Unserem Gesundheitssystem ist es fast nicht mehr möglich, eine schnelle Unterstützung zu bieten, was zur Folge hat, dass die Wartezeiten auf Unterstützung immer größer werden. Durch die COVID-19-Maßnahmen ist es sehr viel schwieriger geworden, eine konstante Unterstützung zu halten. Für viele, die am Anfang einer Erkrankung stehen, ist es noch schwieriger, überhaupt an eine Unterstützung zu kommen. Viele fühlen sich mit ihren Problemen allein oder im Stich gelassen und geraten dadurch immer mehr in die Krankheit.

Kannst du als Heilpraktikerin für Psychotherapie derzeit trotzdem auf „altbewährte“ Methoden zurückgreifen? Oder sind jetzt auch für dich neue Wege gefragt?
Grundsätzlich sehe ich meine, beziehungsweise unsere Arbeit als Hilfe zu Selbsthilfe. Ich verstehe meine Aufgabe darin, den Menschen bei der (Wieder-)Entdeckung und Nutzung seiner individuellen Stärken und Fähigkeiten zu unterstützen. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze und Methoden, mit denen ich die Menschen unterstütze, um Klarheit sowie Handlungs- und Bewältigungskompetenzen für ihre individuellen Anliegen zu entwickeln.

Tabuthema psychische Gesundheit

Viele Menschen kostet es ja immer noch eine gewisse Überwindung, sich professionelle psychologische Hilfe zu suchen. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Psychische Gesundheit ist leider immer noch ein Tabuthema, besonders in unserer Arbeitswelt, in der wir vermeintlich funktionieren müssen. Psychische Gesundheit ist für viele nicht sichtbar und wird daher nicht ernst genommen. Eine Krankmeldung aufgrund eines körperlichen Leidens wie einem gebrochenen Arm ist deutlich akzeptierter als Abwesenheit wegen mentaler Beschwerden – wie beispielsweise Depressionen. Mentale Gesundheit wird nach wie vor im beruflichen Kontext meist eher als Privatsache angesehen.  Aus Angst vor Stigmatisierung verheimlichen viele Betroffene ihre Krankheit zu lange und versuchen irgendwie weiterzumachen, was schwere Folgen haben kann.

Hast du einen Rat für Leute, die merken, dass sie in ihrer aktuellen Situation vielleicht psychologische Hilfe benötigen, aber noch nicht wissen, wie sie das angehen sollen?
Die psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie die physische Gesundheit. Aufklärung ist ein wichtiger Faktor, sich informieren und frühzeitig handeln. Spätestens wenn die Probleme Überhand nehmen und man immer wieder einen starken Leidensdruck verspürt, wird es Zeit, sich Unterstützung zu holen. Das bedeutet nicht, dass man verrückt, gestört oder zu schwach ist, sondern dass dein Leben, dein soziales Umfeld, dein Job, dein Verhalten, deine Glaubenssätze oder vielleicht sogar nur die Chemie in deinem Kopf aus der Balance gekommen sind und dir schaden.

Psychologin Jennifer Pilz - Langlife

Vorab sollte man sich mit seinem Hausarzt in Verbindung setzen, hier können körperliche Ursachen ausgeschlossen werden und der Hausarzt kann dich auch bei der richtigen Therapiewahl unterstützen. Bei öffentlichen psychologischen Beratungsstellen kann man sich unverbindlich beraten lassen und einen Termin vereinbaren.Man muss sich allerdings in unserer momentanen Lage auf lange Wartezeiten einstellen. Bis zu einem Termin könnte man die Option einer kostenpflichtigen psychologischen Beratung oder eines Coachings in Anspruch nehmen. Diese können dich auf deinem Weg unterstützen.

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