Ja zur allgemeinen Dienstpflicht

Kolumne - Allgemeine Dienstpflicht (2022)

Unser Autor gehört zu einem der letzten Jahrgänge, die noch Zivildienst leisten mussten. Obwohl er seine eigene Zeit als Zivi nicht ausschließlich positiv erlebt hat, befürwortet er die mögliche Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, die aktuell wieder diskutiert wird. Nur über den tatsächlichen Zweck sollte man sich seiner Meinung nach ehrlich machen – und bestimmte Schwachstellen der sozialen Pflichtjahre nicht mehr übersehen.


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Der Zivildienst als Schule fürs Leben

Die Wehrpflicht war für Jungs in meinem Alter noch fester Bestandteil der frühen Lebensplanung. Irgendwann zwischen Schule und Studium musste man entweder für neun Monate zur Bundeswehr. Oder neun Monate lang Zivildienst leisten, das wussten wir schon Jahre bevor es tatsächlich soweit war. Und genauso wussten viele aus meiner Generation, dass wir eben nicht „zum Bund“ wollten, sondern den Dienst an der Waffe verweigern. Also stattdessen irgendeiner soziale Tätigkeit nachgehen – außer älteren Mitbürgern den Hintern abzuwischen, das war unsere einzige Angst. Nun, eines davon habe ich später tatsächlich geschafft, das andere nicht. Aber man gewöhnt sich bekanntermaßen an alles.

Nachdem ich Ende der Zweitausenderjahre meinen Einberufungsbescheid vom Kreiswehrersatzamt erhalten und wie geplant den Wehrdienst verweigert habe, leistete ich meinen Zivildienst in der Altenpflege ab. „Da habe ich viel für mein späteres Leben gelernt“, möchte ich heute so abgedroschen sagen. Das gilt allerdings sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht. Einerseits lehrt einen der Umgang mit pflegebedürften Menschen natürlich Verantwortung. Ich kann nicht unter der Woche feiern gehen, wenn ich am nächsten Morgen mit fünf Tagesgästen im Auto Fahrdienst habe. Und wen ich jemandem beim Toilettengang helfen muss, dann mache ich das eben. Schließlich hoffe ich darauf, dass sich im Alter eine Pflegekraft mit der gleichen Selbstverständlichkeit um mich kümmert, sollte ich darauf angewiesen sein.

Wer verpflichten will, muss auch Wertschätzung zeigen

Aber nicht nur in meiner persönlichen Entwicklung hat mich der Zivildienst geprägt, sondern auch in meiner Einstellung gegenüber dem Arbeitsmarkt. Und da kommen wir zu den negativen Aspekten. Nun waren die Arbeitsbedingungen für junge Männer meiner Generation ziemlich unterschiedlich. Während einige meiner Zivi-Genossen auf anderen Dienststellen lediglich ihre festangestellten Kolleg*innen für ein paar Stunden begleiten mussten und dann nach Hause durften, war meine Tätigkeit eine waschechte Vollzeitstelle. Der alljährliche Zivi wurde in meiner Einrichtung fest als essentieller Mitarbeiter eingeplant. Ohne wäre der Betrieb fast nicht möglich gewesen. So habe ich in einigen Monaten sogar die Überstundentabelle angeführt. Und dafür, analog zu Grundwehrdienstleistenden, den kargen Standardsold von 500 bis 600 Euro pro Monat bekommen.

Dabei habe ich zum ersten Mal erlebt, wie wenig scheinbar sinnvolle Arbeit wert sein kann. Und wahrscheinlich hat mich das auch unterbewusst in meinen Gehaltserwartungen in späteren Berufen außerhalb der Pflege geprägt. Glücklicherweise gab es zumindest eine Lektion in Geschlechtergleichbehandlung gratis dazu. Denn die jungen Frauen, die in meiner Einrichtung praktisch dieselbe Tätigkeit als Freiwilliges Soziales Jahr absolvierten, wurden mit weniger als 400 Euro pro Monat abgespeist. Auch eine nette Analogie zur realen Arbeitswelt.

Wer unter diesen Vorzeichen eine allgemeine Dienstpflicht einführen will, wird auf wenig Gegenliebe stoßen. Junge Menschen wieder in die Pflicht nehmen, das wurde unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine von Politiker*innen verschiedener Parteien ins Gespräch gebracht. Dabei ist der Zusammenhang eigentlich eher schwammig, denn eine Wiedereinführung der Wehrpflicht steht nicht zur Debatte. Kein Wunder: Die Idee, Heranwachsende jetzt wieder zur Bundeswehr einzuziehen, nachdem sie über zwei Jahre ihrer Jugend vorbildlich die Corona-Maßnahmen mitgetragen haben, dürfte auf wenig Gegenliebe stoßen.

Stattdessen ist von einer „allgemeinen Dienstpflicht“ die Rede – quasi ein Bundesfreiwilligendienst minus Freiwilligkeit. Auch das dürfte für besagte Jugendliche erst mal eher keine Begeisterungsstürme hervorrufen. Doch zumindest soll sich so eine Dienstpflicht nicht auf die Bundeswehr beschränken, sondern auch soziale Berufe wie die Pflege oder Institutionen wie THW und Feuerwehr einschließen. Unter diesen Vorzeichen kann ich dem Vorschlag durchaus etwas abgewinnen – wenn die Dienstpflichtigen die Wertschätzung bekommen, die Ihnen zusteht.

Am Geld soll es nicht scheitern

Und damit wir uns nicht missverstehen: Wertschätzung bedeutet auch, dass am Ende des Monats eine angemessene Entlohnung für gesellschaftlich unabdingbare Arbeit auf dem Konto landet. Selbstverständlich nicht nur unabhängig vom Tätigkeitsfeld, sondern auch vom Geschlecht. Außerdem müssen Möglichkeiten zur Weiterbildung geschaffen werden, die eine dauerhafte Integration in den Beruf nach Ende der Pflichtzeit erleichtern. Denn weder die Truppenstärke der Bundeswehr noch die Beschäftigten in sozialen Berufen erhöhen wir, indem wir sie zu etwas verpflichten, das ihnen keinen echten Mehrwehrt bietet. Im schlechtesten Fall verrichten die jungen Menschen sonst einfach ihre unumgängliche Pflicht. Und sie sind froh, wenn sie danach nie wieder etwas mit ihrer Dienststelle zu tun haben müssen. Viel sinnvoller wäre es hingegen, eine allgemeine Dienstpflicht als Chance zu begreifen. Dafür, um praktische Werbung für Berufe zu machen, in denen händeringend Nachwuchs gesucht wird.

Wer eine allgemeine Dienstpflicht bloß als billigen Talking Point ins Gespräch bringt, um eine Scheinlösung für die unzureichend ausgerüstete Bundeswehr zu präsentieren, hilft da nicht weiter. Aber wer bereit ist, ein allgemeines Gesellschaftsjahr neu zu denken, alte Fehler nicht zu wiederholen und auch Geld zu investieren, könnte etwas bewirken. Dass sich für wichtige Projekte durchaus Finanzmittel finden lassen, hat das Ende Februar von der Bundesregierung angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gezeigt. Nur dass die Einführung einer Dienstpflicht irgendetwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hätte, den Eindruck sollte niemand zu erwecken versuchen.

Text: Florian Deckert