Mit nichts zu rechtfertigen

Kommentar - Russlanddeutsche Krieg Ukraine (1)

Gedanken einer Russlanddeutschen zum Krieg in der Ukraine

Die Situation in der Ukraine nenne ich im Gegensatz zu Präsident Putin unbeschönigt beim Namen: Es herrscht Krieg. Ein Krieg, der mit nichts zu rechtfertigen ist. Das erschüttert mich und nimmt mich sehr stark mit. Vor allem die ersten Tage nach dem Einmarsch war ich ständig den Tränen nahe. Außerdem war alles so surreal, ich konnte nicht glauben, dass das was in der Ukraine passiert die Wirklichkeit ist. Mittlerweile versuche ich, nicht so häufig daran zu denken und mich nur einmal am Tag über die Situation zu informieren, denn ich habe gemerkt: Die Ohnmacht nichts dagegen unternehmen zu können, macht mir am meisten zu schaffen.


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Ein Stich ins Herz

Ich bin natürlich auch gegen jeden anderen Krieg der auf der Welt herrscht. Doch dieser trifft mich in gewisser Weise persönlich, da ich Russlanddeutsche bin, deren Uroma selbst auf dem Gebiet der Ukraine kurz vor dem zweiten Weltkrieg geboren ist und damals aufgrund des Einmarsches der Nazis mit ihrer Familie fliehen musste. Geboren bin ich einige Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion in Kasachstan. Für mich fühlt es sich so an, als würde mein Volk gegen sich selbst kämpfen. Vollkommen egal auf welcher Seite jemand stirbt, ob ein unschuldiger ukrainischer Mensch oder ein russischer Soldat, der auf die Lügen von Putin hereingefallen ist: Für mich ist das ein Stich ins Herz.

Marina Owsjannikowa, Perwy Kanal - No War
Die Redakteurin Marina Owsjannikowa protestierte am 14. März 2022 in einer Live-Nachrichtensendung des regierungstreuen Fernsehsenders Perwy kanal gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine. Nach einem Anfang März vom russischen Parlament genehmigten Gesetz drohen ihr für diesen Protest bis zu 15 Jahre Haft.

Diskussionen mit der Familie

In meiner Familie versuchen wir, nicht über dieses Thema zu reden, jedoch sind viele meiner Verwandten auf Putins Seite. Dennoch sind alle gegen den Krieg. Meine Versuche, Teile meiner Familie davon zu überzeugen, dass Putins Regierung Lügen verbreitet, scheiterten leider. Bei den meisten habe ich es ehrlich gesagt auch gar nicht erst versucht, weil mir die Kraft dazu fehlt. Ich weiß: Einige Leser*innen werden sich jetzt darüber empören, wie das sein kann, dass ich nicht alles unversucht lasse, um meine Liebsten davon zu überzeugen, dass Putin ein Kriegsverbrecher ist. Ich kann euch sagen wieso. Leute, die ihr Leben lang mit der Auffassung aufgewachsen sind, sie seien die Guten und der Westen, vor allem die USA, die Bösen, lassen sich nicht so einfach von ihrer Meinung abbringen. Auch nicht durch Fakten und seien sie noch so logisch. Außerdem ist es wahrscheinlich unheimlich schwer, seinen eigenen Stolz zu überwinden und sich selbst einzugestehen, dass man sein Leben lang Propaganda geglaubt hat. Diskussionen mit der Familie helfen deshalb niemandem. Im Gegenteil, sie führen nur zu Streit und treiben einen Keil zwischen uns. Mir ist es allerdings wichtig, ein gutes Verhältnis zu meiner Familie zu haben, denn ich brauche sie in solch schweren Zeiten an meiner Seite, so wie sie mich an ihrer Seite brauchen. Deshalb haben wir für uns stillschweigend beschlossen, nicht über den Krieg in der Ukraine zu reden. Sie zwängen mir nicht Putins Propaganda auf und ich versuche nicht mehr, sie davon zu überzeugen, dass russische Nachrichten genau das sind: Putins Propaganda.

Kommentar - Russlanddeutsche Krieg Ukraine (2)
Protest gegen Krieg in Berlin. Foto: Etienne Girardet / Unsplash

Rassismus gegenüber Menschen mit russischen Wurzeln

Mir Gegenüber war aufgrund des Krieges noch niemand rassistisch. Allerdings habe ich keinen russischen Akzent, auch mein Name klingt deutsch. In der Öffentlichkeit gibt es für mich nur selten Gründe Russisch zu sprechen, sodass Außenstehende nicht automatisch darauf schließen können, dass ich Russin bin. Von Freundinnen und der Familie habe ich dennoch schon von rassistischen Äußerungen ihnen Gegenüber im Zusammenhang mit dem Krieg gehört. Ich denke jedoch, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen nicht rassistisch gegenüber Russlanddeutschen oder Russ*innen ist. Die Situation wird jetzt allerdings von Menschen ausgenutzt, die nur nach einem Grund gesucht haben, ihrem Rassismus freien Lauf zu lassen. Ich hoffe und glaube, dass die Allgemeinheit versteht, dass das russische Volk und die hier lebenden russischstämmigen Menschen nichts für den Krieg können. Ich kann die Wut über den Krieg verstehen, aber bitte alle Menschen, diese nicht an Russ*innen auszulassen. Lasst uns in Frieden leben und damit im Kleinen bei uns selbst anfangen.

Слава Україні.

Text: Luisa Braun