Von der Kunst in der Politik und der Politik in der Kunst

Moderner Aktivismus (Illustration)

Der moderne Aktivismus und seine Facetten

Aktivismus hat so viele Gesichter wie es Menschen gibt. Manche sind gezeichnet von Wut und Aggression. Auf anderen spiegeln sich entspannte Solidarität und eine Ruhe, die von einem tiefen Gemeinschaftsgefühl herrührt. Oder Mut und Entschlossenheit, motiviert durch unbändigen Tatendrang. Welcher Art des Aktivismus man sich auch immer bedienen mag, es ist und bleibt ein emotionales Anliegen. Niemand setzt sich einfach so für etwas ein, ohne zu wissen wofür oder ohne eine Form von persönlichem Bezug.

Solange es sich um gute Zwecke handelt, stimmt die Motivation in den aller meisten Fällen. Doch die ewige Frage des Aktivismus bleibt: Wie kommt man am effektivsten zu der Aufmerksamkeit, die, wie man glaubt, die eigene Sache verdient hat? Wie wird man am besten gesehen, gehört, verstanden? Wie kann man Veränderung initiieren, die mehr ist als Schall und Rauch und nach einiger Zeit nicht wieder verfliegt, als wäre sie nie da gewesen?


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Viel zu sagen hatten wir schon immer

Wir wollen unsere Überzeugungen teilen, sie öffentlich machen. Um unserer Stimme Gehör zu verleihen, bedienen wir uns allen möglichen Mitteln. Wir gehen auf die Straße, mit Plakaten, die unsere Meinung regelrecht in die Welt hinausschreien. Reisen um die halbe Welt, um uns vor Ort zu engagieren. Wir spenden, wir streiken, wir sammeln Unterschriften, machen Umfragen und Studien. Jede Form hat ihre Daseinsberechtigung. Doch ab und an gibt es Personen oder Gruppen, die groß denken. Die etwas starten, mit dem Ziel, unsere Wahrnehmung grundlegend zu ändern.

Moderner Aktivismus, der aufrüttelt und uns endlich aus unseren alten Mustern holen soll. Unkonventionelle Herangehensweisen, um den drängenden Themen eine Plattform zu geben. Diese kreativen, neuen Projekte finden oftmals auf der Basis der Kunst und Kultur statt. Sie triggern und spielen mit intensiven Emotionen, unangenehmen Konflikten, unkonventionellen Kombinationen und gegenstandsloser Verwirrung.

Der mal andersdenkende Aktivismus der Moderne

We The People (Denver, Colorado) by Dayne Topkin
Plakat in Denver, Colorado (2017). Foto von Dayne Topkin auf Unsplash

Der Beginn des intensiven künstlerischen Aktivismus lässt sich am Anfang der Moderne verorten. Das 20. Jahrhundert brachte ein dringendes Bedürfnis an Aufklärung, Umdenken und gesellschaftlichem Umbau mit sich. Der Indifferenz der privilegierten, reichen Kunstgesellschaft und ihrer Nutzung der Kunst als idealistisch-ästhetisches Trostpflaster wurde der Kampf angesagt. Das Leben in der Kunst und nicht die Kunst statt dem Leben! Unter anderem im Zuge der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren setzen sich US-amerikanische Künstler*innen zunehmend mit gesellschaftlichen Konflikten wie Rassismus auseinandergesetzt.

Künstlergruppierungen wie die Art Workers Coalition, die sich gegen den elitären Kunstbetrieb auflehnte, die Gran Fury, die sich für mehr Aufklärung bezüglich AIDS einsetzte oder die feministischen Formierungen der Guerilla Girls und der Material Group setzten hier ein Fundament für künstlerischen Aktivismus. Das einzelne Künstlergenie wurde in Frage gestellt. Die Kunst emanzipierte sich zu einer gesellschaftskritischen Zone und tut dies unaufhörlich weiterhin.

Guerilla Girls - Women Met Museum
Do Women Have To Be Naked To Get Into The Met. Museum? 1989. Copyright © Guerrilla Girls, courtesy guerrillagirls.com.

Das hier gezeigte Werk der Guerilla Girls war ursprünglich, auf Anfrage, für den New York Public Art Fund bestimmt. Es kritisiert, mit gezielter Anspielung auf das Metropolitan Museum of Arts in New York, die Rolle der Frau und vor allem ihre fehlende Repräsentation im aktuellen Kunstbetrieb. Das Poster war als Werbung in Bussen zu sehen, nachdem es von eben jenem New York Public Art Fund wegen Unklarheit zurückgewiesen wurde.

Protest in Fotografie, Film und Theater

Aktuelle Ansätze finden sich zahlreich in der Fotografie. Die Fotografin Helene Schmolz mahnt mit schockierenden Bildern von zerstörter Natur zu konsequentem Klimaschutz. Die traumatischen Erlebnisse der schwarzen Bevölkerung in den USA verarbeitet Jon Henry in seinen Fotografien. Das hier gezeigten Bilder stammt aus seiner Fotoreihe „Stranger Fruit“ – eine Reaktion des Künstlers auf die extreme Brutalität der Polizeigewalt gegen schwarze junge Männer in den USA, die regelmäßig im Mord endet. Die Bilder portraitieren die in Isolation dargestellten Mütter der getöteten Söhne. Szenen, die zwar für die Fotos nur inszeniert wurden, die aber das unendliche Leid und den einsamen Schmerz der Betroffenen aufgreifen.

Jon Henry: Untitled #25 - Montogomery, Alabama (2016)
Jon Henry: Untitled # 25 Montgomery, AL (2016)

Das Filmprojekt „Forest Law“ (2014) von Ursula Biemann und dem brasilianischen Architekten Paulo Tavares handelt hingegen von verschiedenen rechtlichen Verhandlungen, die der Erde und ihren Wäldern fundamentale Grundrechte einräumen sollen. Kontrastiert werden die Prozesse durch Geschichten von Aktivist*innen sowie spirituellen und indigenen Persönlichkeiten. Ein Film, der durch den richtigen Einsatz von Bild und Ton, Auswirkungen von Konsumgesellschaft und Politik neu beleuchtet.

Hier setzt auch das politische Musiktheater an: Die Stücke rücken Sichtweisen diskriminierter und marginalisierter Gruppen in den Vordergrund rückt und geben ihnen eine Stimme im Kunstbetrieb. Kein Wunder, dass diese Art der Inszenierung mit negativer Kritik zu kämpfen hat. Insbesondere von denjenigen, die seit jeher von ihren privilegierten Posten aus den Kunstbetrieb zu steuern und Kunst und Politik nach ihrem Belieben zu trennen pflegen.

Jon Henry: Untitled #61 - Omaha, Nebraska (2020)
Jon Henry: Untitled #61, Omaha, NE (2020)

Veränderung durch Begegnung

Auch die kubanische Künstlerin Tania Bruguera rief ein ganz neu gedachtes Projekt ins Leben. Mit der „School of Integration“ schuf sie 2019 in Manchester für die Zeit ihrer Ausstellung Raum für 80 Kurse, Unterrichtsstunden und Workshops zu verschiedensten Kulturen und ihren Praktiken. Diese wurden allesamt von Menschen mit dem jeweiligen kulturellen Background gehalten. Dies ist ein Beispiel für ein Kunstprojekt, das seine Betrachter impliziert, sie auch aktiv mit einbezieht und mit ihnen anstatt für sie arbeitet. Beste Voraussetzungen, alle Teilnehmenden nachhaltig in ihrem Denken über Freiheit, Staatszugehörigkeit und -bürgerschaft sowie die Perspektive von Migranten zu beeinflussen.

Auch die Umweltkunst „The Building“ von Dan Peterman setzt sich auf ganz besondere Weise für kulturelles Engagement ein. Hierzu schuf der Künstler Anfang der 1990er in Chicago ein gemeinnütziges Gebäude, das gleichzeitig Raum für kulturelle, bildende und unternehmerische Initiativen bot. So brachte er die verschiedensten Menschen und ihre individuellen Visionen zusammen. 

Eine Revolution der Inszenierung

Nicht nur der Inhalt eines Kunstwerkes, sondern auch seine Umgebung kann großen Einfluss haben. Ob Street-Art, interaktive Projekte oder transdisziplinäre Konzepte – der Kunstbetrieb muss weniger elitär werden, zugänglich und repräsentativ. Konstruktivisten müssen aufpassen, dass sie keine ästhetische Schule werden, kein Trend, keine Ersatzpolitik. Die Frage, ob der Aktivismus auf Kosten der Kunst geht, ist an dem Punkt obsolet. Konventionelles Aktiv-sein reicht mittlerweile nicht mehr aus, um nachhaltig zu verändern. Es braucht Innovation in den Ideen, Neuerung in der Form und Rebellion in der Präsentation.

Kunst erhellt die Vorstellungskraft. Sie ist eine Macht und eine Kraft, die uns berühren kann und so, durch emotionale Prägung, die Veränderung in uns provoziert. Kunst ist eine Form der Kultur, von Menschen gemacht. Da sie bereits in unserer Gesellschaft existiert und auch nur in ihr existieren kann, ist sie die bestmögliche Form des Einmischens. Wenn Kunst und Kultur sich ihrer selbst bewusst sind, können sie ungeahnte Veränderungen bewirken.

Text: Anna Wirth | Titelbild: DALL-E 2