„Vor einem Übergriff wurde ich verschont. Die Angst ist da.“

Special Report 0521 - Madeleine (MeToo)

Von Madeleine (25) aus Heilbronn

#MeToo? In Deutschland hatte fast jede zweite Frau schon Erfahrung damit. Man kann heutzutage von „Glück“ sprechen, wenn es nur Sprüche sind oder eine andere Art des Sexismus. 


Aus dieser Ausgabe:

  1. Special Report 0521 - Josephine (Grenzen)
  2. Special Report 0521 - Kimberly (Sexual Upgrading)
  3. Special Report 0521 - Edita (Männer)

CONTENT-WARNUNG: Sexualisierte Gewalt

Was aber immer noch totgeschwiegen wird ist, wie viele Frauen wirklich von einem sexuellen Übergriff betroffen sind. Sie bekommen keine Aufmerksamkeit, die Polizei hilft auch nicht so, wie man sich das wünscht. Da überlegt man sich beim zweiten Mal, ob man sich dem seelischen Stress nochmal aussetzen möchte. Oder lieber einfach vergessen. Meiner Meinung nach wird das Thema Sexismus und sexuelle Übergriffe zu wenig diskutiert und finde es gut, hier eine Stimme zu bekommen. Ich kenne in meinem Umfeld mindestens vier Frauen, die einen sexuellen Übergriff, sprich: eine Vergewaltigung erlitten haben. Das ist erschreckend!

Mir selbst ist bis jetzt vieles passiert. In der Disco angegrabscht zu werden, in der Stadt, vom Angaffen, wo man schon mit Blicken ausgezogen wird, bis hin zu Sprüchen, die man nicht mal verstehen kann. Aber die Körpersprache und das Gesicht sagt alles aus, was bei diesen Männern gerade im Kopf abgeht! Das finde ich einfach nur ekelhaft. Vor einem Übergriff wurde ich verschont. Die Angst ist da.

In den sozialen Netzwerken geht es richtig ab. Ich poste eine neue Story oder einen Beitrag, schon kommen sogenannte „Dick Pics“ in mein Nachrichtenfach. Wer nicht weiß, was ein „Dick Pic“ ist: Das sind Bilder des männlichen Geschlechts, die ich ungewollt von wildfremden Männern zugesendet bekomme. Ich weiß bis heute nicht, was sich davon erhofft wird. Das ist ekelhaft und gefällt keiner Frau! Es gibt auch genügend Minderjährige in den Netzwerken und die sollten so etwas nicht geschickt bekommen dürfen! Seit kurzem, ist das eine anerkannte Straftat, was ich persönlich total gut finde.


Meine erste Begegnung:

Ich kann mich noch daran erinnern als ob es gestern war. Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, bin ich mit meinen Eltern in den Urlaub auf Malle geflogen. Wir hatten eine Hotelanlage mit Pool und allem was dazu gehört, unser Apartment war jedoch nicht in der Anlage, sondern ein paar 100 Meter durch die Innenstadt entfernt. An einem Tag habe ich mit meinen Freunden am Computer in der Hotel-Lobby gechattet.

Plötzlich setzte sich ein Mann neben mich hin. Er fing mit Smalltalk an, fragte mich tausend Dinge auf die ich nie die richtige Antwort gab, außer auf mein Alter. Der Mann sagte mir, er sei um die 29 oder 30 Jahre alt!!! ….wie schon erwähnt,  ich war gerade mal 11 oder 12 Jahre alt!! Nach über einer Stunde saß ich immer noch, ich traute mich einfach nicht weg. Ich hatte echt Angst innerlich. Meinen Eltern hatte ich gesagt, ich wäre in einer Stunde wieder zurück, die schon lange um war. Nach ewig langer Zeit packte ich meinen Mut zusammen, stand auf und meinte: „Ich muss schnell los, meine Eltern warten.“ Natürlich wollte er mich zu Fuß begleiten, was ich versuchte dankend abzulehnen. Als ich los bin, habe ich schnell bemerkt, dass der Typ knapp hinter mir ist. Sollte ich jetzt losrennen? Oder doch lieber normal weiter gehen?

Ich beschloss, etwas zügiger zu laufen, mein Herz hat mir bis zum Hals geschlagen! Immer in Nähe von Menschen habe ich mich bewegt oder bin mit einer kleinen Gruppe gelaufen. Schließ war da nicht mein Wohnort, ich kann die Sprache nicht sprechen und ich habe kein Telefon bei mir, um Hilfe zu rufen. Ich bemerkte wie er mir immer näherkam, plötzlich sah ich meinen Dad auf dem Balkon Ausschau halten. Die hatten sicher auch schon ein komisches Gefühl gehabt. Der Eingang des Apartments war zum Glück Richtung Innenstadt gerichtet, so musste ich in keine Seitengasse oder in irgendwelche Hinterhöfe laufen.

Als ich meinen Dad sah, rannte ich so schnell ich konnte los und rief laut zu ihm: „Papa, bitte hilf mir, der Typ verfolgt mich seit dem Hotel und geht nicht weg!“ Ich hatte nicht mal ausgesprochen, schon rannte mein Dad nach unten. In dieser Zeit bemerkte der Typ das natürlich und hat die Flucht ergriffen. Wir haben diesen Typen nicht einmal in unserem Hotel noch sehen können, wer weiß, ob er überhaupt dort zu Gast war… So ein Erlebnis prägt einen natürlich, man ist immer vorsichtiger als andere und vertraut nie zu 100 Prozent.


Letztens sagte ein Mann: „Klar denke ich mir auch, wenn ich nachts alleine unterwegs bin: Hoffentlich raubt mich keiner aus. Aber das ist ja das schlimmste, was passieren kann. Dann wären eben Handy, Geldbeutel und so weiter weg. Aber eine Frau muss ja vor so viel mehr Angst haben!“ Warum müssen Frauen das?

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass keine Frau mehr Angst haben muss auf dem Heimweg. 
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Vergewaltigungen oder Sexismus nicht totgeschwiegen werden.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Frauen mehr Stimmen für dieses Thema bekommen.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass härtere Strafen für Sexualdelikte gesetzt werden.
Ich wünsche mir für die Zukunft, einmal durch die Stadt laufen zu können, ohne sexualisiert zu werden.

Kein Mensch hat das Recht, eine Frau sexuell zu belästigen, nur weil sie zum Beispiel knapp gekleidet ist.
Kein Mensch hat das Recht, einer Frau ungewollt irgendwo hinzufassen.
Kein Mensch hat das Recht, ungewollte Bilder der Geschlechtsteile zu versenden!
Kein Mensch hat ein Recht an Anderen!


Die Autorin auf Instagram: @mdixink