Weihnachten ohne Amazon

Kolumne - Weihnachten ohne Amazon (1)

Warum ich dem Onlineversandhaus dieses Jahr den Rücken kehre. Von Florian Deckert

17 Jahre. 987 Bestellungen. Wer weiß wie viele Euro, aber es müssen tausende sein. So sieht meine bisherige Kundenhistorie bei Amazon aus. Angefangen hat es im Jahr 2004, damals landeten noch ausschließlich Bücher, CDs und DVDs in meinem Warenkorb. In jüngeren Jahren kamen immer abstrusere Artikel dazu, vom Bio-Pflanzendünger über geräuchertes Paprikapulver bis hin zu FFP2-Masken. Doch damit soll jetzt Schluss sein: Ich will Amazon aus meinem Leben verbannen. Und damit fange ich dieses Jahr im Weihnachtsgeschäft an.


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Amazon: Seit Jahren in der Kritik

Die Anzahl meiner bisherigen Amazon-Bestellungen klingt natürlich erst mal wahnsinnig hoch. Rechne ich das auf das Jahr herunter, liege ich mit ungefähr 58 Bestellungen aber nur knapp über dem Durchschnitt. Deshalb möchte ich mit meiner Abkehr vom Versandriesen auch keine etwaige Kaufsucht in den Griff bekommen. Nein, mir geht es ums Prinzip. Dass das US-Unternehmen in so gut wie allen Geschäftsbereichen in der Kritik steht ist allgemein bekannt. Ein kurzer Überblick der Vorwürfe, mit denen sich Amazon teilweise seit Jahren auch in Deutschland konfrontiert sieht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Steuervermeidung, Missbrauch von Marktmacht, Datensammeln im großen Stil, Tarifflucht, Lohndumping, Überwachung von Mitarbeiter*innen, Outsourcen von Logistik an dubiose Subunternehmen, Vernichtung neuwertiger Retouren im großen Stil, Vertrieb von rechtsextremer, desinformativer und verschwörungsideologischer Literatur.

Puh. Das klingt nicht schön, aber es klingt auch nicht neu. Denn viele dieser Vorwürfe wurden bereits mehrfach von Medien, Gewerkschaften oder der Politik angemahnt. Wir alle wissen davon, aber von der nächsten Bestellung bei Amazon hält es uns meist nicht ab. Zu schnell die Lieferung, zu gut die Preise, zu bequem haben wir es uns bereits im Ökosystem des Unternehmens gemacht. Ein ähnliches Phänomen lässt sich zum Beispiel auch beim Kampf gegen den Klimawandel beobachten, in der Sozialpsychologie nennt man das „kognitive Dissonanz“. Zwei miteinander unvereinbare Wahrnehmungen rufen ein unangenehmes Gefühl bei uns hervor, deshalb blenden wir sie einfach aus. Deshalb essen wir weiter regelmäßig Fleisch, fahren Auto und kaufen Billigkleidung, obwohl wir wissen, dass es schlecht fürs Klima und langfristig für unser Leben auf diesem Planeten ist. Oder wir ordern trotzdem einen Schuhspanner aus Echtholz bei Amazon. Beziehungsweise ich.

Was bringt es überhaupt, Amazon zu boykottieren?

„Wir können den Konzern nur aufhalten, wenn die Gesellschaft ihn in die Schranken weist.“

Diese eindringliche Warnung vor Amazon entstammt nicht etwa meinem neuerdings antikapitalistischen Hirn, sondern jenem von Shel Kaphan. Der Amerikaner wird oft als Amazon-Mitarbeiter Nummer 1 bezeichnet, er war maßgeblich an der Entwicklung der Website beteiligt und bis 1999 Chief Technology Officer im Unternehmen. Heute befürwortet Kaphan sogar eine Zerschlagung des Konzerns, denn die Macht von Amazon macht ihm Angst. Wie weit diese Macht reicht, ist vielen vielleicht gar nicht bewusst. Denn der einstige Online-Buchhändler hat nicht nur sein Sortiment um so gut wie alles von der Reißzwecke bis zum Swimming Pool erweitert.

Mehr als bloß Bücher

Zum Portfolio gehört auch der On-Demand-Service Prime Video, der inzwischen eigene Serien und Filme produziert und hochkarätige Sport-Übertragungsrecht besitzt. Oder die Dienste Dash, Fresh und Go, mit denen Amazon Artikel des täglichen Gebrauchs anbietet und so stationären Supermärkten Konkurrenz machen will. Und nicht zuletzt Amazon Web Services, kurz AWS: Der 2006 gegründete Dienst hat Amazon inzwischen zum weltweit führenden Anbieter von Cloud-Computing-Lösungen gemacht. Genutzt wird die Server-Infrastruktur von AWS unter anderem von Digitalriesen wie Netflix, Dropbox oder Reddit, aber auch von staatlichen Behörden, die personenbezogene Daten verarbeiten.

Kurzum: Amazon fährt auf ziemlich vielen Wegen ziemlich viel Asche ein und für seinen nächsten Weltraumflug ist Jeff Bezos mit Sicherheit nicht auf meine paar Euro als Spritgeld angewiesen. Und ein Verzicht auf alle Tätigkeiten, die Geld in die Kassen von Amazon spülen, ist fast nicht mehr möglich. Außerdem hat der Konzern die fragwürdigen Praktiken, für die er kritisiert wird, nicht erfunden. Er bündelt sie eben bloß, analog zur Ausweitung der eigenen Geschäftszweige. Deshalb ist der Entzug meiner bescheidenen Mittel effektiv natürlich nur ein symbolischer Akt mit Amazon als Stellvertreter für ähnliche Riesenunternehmen, der eventuell zur Nachahmung anregt. Und nebenbei meine ganz persönliche kognitive Dissonanz ein Stück weit auflöst.

Kolumne - Weihnachten ohne Amazon (2)
Wicked Monday / Unsplash

Black Friday, Weihnachten – und dann?

Als ich meinen Entschluss zur Amazon-Abstinenz fasse, steht für das Unternehmen gerade die heißeste Umsatzphase des Jahres an. Im letzten Quartal liegen nämlich Black Friday, Cyber Week und die Weihnachtsfeiertage, wo der Versandhändler mit unglaublichen Rabatten lockt. Lieferengpässe und gestiegene Frachtkosten sorgen wie bei vielen globale Unternehmen für maue Umsatzprognosen, deshalb kämpft Amazon dieses Jahr besonders aggressiv um jede Bestellung. Überpünktlich trudelt dann auch bereits Anfang November die erste Black-Friday-Pushnachricht der Amazon-App auf meinem Handy ein: Ob ich nicht endlich die Heißluftfritteuse von meiner Wunschliste zum unschlagbaren Angebotspreis ordern will? Klar will ich, im Prinzip. Nur weil ich jetzt konsumkritisch bin, habe ich noch lange nicht mein Interesse an selbstgemachten fettfreien Pommes verloren. Aber ich bleibe stark, auch als weitere Alerts aufpoppen. Die Black-Friday-Woche überstehe ich schließlich erfolgreich ohne Bestellung bei Amazon und weiche natürlich auch nicht einfach auf andere Händler aus. Ein erster Etappensieg.

Bleibt noch Weihnachten. Natürlich will ich meinen Liebsten am 24. Dezember keinen moralisch angehauchten Vortrag über die Zerschlagung multinationaler Konzerne halten, sondern ganz normale Geschenke überreichen. Weil ich ein faules Schwein bin, habe ich das in den letzten Jahren zumindest teilweise auch immer über Amazon erledigt. 2021 lasse ich mich hingegen spontan in Geschäften inspirieren, um den stationären Handel zu unterstützen. Andererseits lädt die verschärfte Pandemielage dieses Jahr nicht gerade zum stundenlangen Vor-Ort-Shopping ein. Und schließlich will ich Amazon auch noch auf seinem ureigenen Terrain schlagen: dem Online-Buchhandel, bei dem es genug faire Alternativen gibt. Anbieter wie FairBuch.de, buch7.de oder ecobookstore.de spenden feste Teile ihres Gewinns an soziale oder nachhaltige Initiativen und können mit ihrem Sortiment absolut mit dem Branchenprimus mithalten. So schaffe ich es am Ende, meine Weihnachtsgeschenke völlig Amazon-frei zu kaufen.

Starker Wille, schwache Momente

Und wie geht es jetzt weiter? Dass Online-Bestellungen nicht zwangsläufig vom Versandriesen und ähnlich großen Unternehmen kommen müssen, habe ich im Selbstversuch gelernt. Auf viel Krimskrams lässt sich auch einfach komplett verzichten, vor allem wenn man den Luxus der 24-Stunden-Prime-Lieferung nicht mehr permanent vor Augen hat. Andererseits will ich sowohl die finale Staffel von „The Expanse“ sehen und auch die Champions League weiterhin verfolgen. Mist. Zumindest da wird mich das dämliche Grinse-Logo des Unternehmens also triumphierend anlächeln. Ich bin ein schwacher Mensch. Wo ist eigentlich mein Echtholz-Schuhspanner?

[FD]