Wie steht es um die Rechte der Frau – und wie frei ist sie wirklich?
Unsere Welt ist mittlerweile ein einziger Flickenteppich aus Problemen, die alle untrennbar zusammenhängen. Wenn man aber einen genaueren Blick auf die Konfliktlandschaft der aktuellen Zeit wirft, fällt auf, dass sich eine bestimmte Menschenrechtsbewegung mit neuer Kraft und mehr Nachdruck auf die Straßen begibt. Frauen auf der ganzen Welt haben zurzeit allen Grund, sich zusammen für Freiheit und Geschlechtergleichberechtigung stark zu machen. Denn: Frauenrechte sind Menschenrechte.
In vielen Ländern sind sie offiziell durch das Gesetz geregelt. Dennoch ist die Situation und die allgemeine Freiheit der Frau in ständigem Wandel. Die Frau als Mensch blickt angesichts ihrer Existenz auf dieser Erde auf eine Geschichte voller Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung zurück. Leider hat sich dies nur in Form und Ausprägung verändert, nicht aber im Dasein an sich.
Wenn auch in einigen Fällen nicht mehr vor dem Gesetz, so ist die Frau doch in alarmierend vielen Bereichen des realen Lebens, fernab der Rechtsprechung, immer noch dem Mann untergeordnet. Wie steht es nun um Frauenrechte und Freiheiten der Frauen? Und inwiefern haben wir uns dahingehend weiter oder vielleicht sogar eher rückläufig entwickelt?
INFO:
In diesem Artikel wird formal mit den klassischen Geschlechterbezeichnungen „Mann“ und „Frau“ gegendert. Dabei sind jedoch alle Personen mit einbezogen, die sich als männlich oder weiblich identifizieren. Ohnehin ist jede Identifikation beziehungsweise Definition oder auch Nicht-definition der eigenen Person in den Feminismus miteinbezogen.
Der lange Kampf der Feministinnen
Der Feminismus hat mittlerweile viele verschiedene Strömungen vorzuweisen. Was alle jedoch gemeinsam haben ist das Ziel, Diskriminierung, die Sexualisierung der Frau und das Patriarchat zu eliminieren und Chancengleichheit für alle Geschlechter zu erreichen. Der Gedanke ist eine Reformation von unterdrückenden Glaubens- und Wertsystemen und die Etablierung neuer gesellschaftlicher Normen und Werte.
Der Anfang des Feminismus geht mit der europäischen Aufklärung einher. Die Frauenrechtsaktivistin Olympe de Gouges verfasste 1791 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. Andere Feministinnen folgten ihr mit der ersten Frauenzeitung, dem ersten Frauenverein und mutigen schriftstellerischen Arbeiten sowie politischem Aktivismus. Errungenschaften waren bis zum 2. Weltkrieg in Deutschland unter anderem die Vereinsfreiheit, der internationale Frauentag, die bürgerliche Frauenbewegung und schließlich das Sprach- und Wahlrecht der Frauen. Die gesetzliche Festlegung der Gleichberechtigung von Mann und Frau 1957, die freie Entscheidung zum Erwerb von Führerschein 1958 und der Aufnahme von Arbeit 1977 sowie feministische Bürgerbewegungen folgten. In den letzten Jahren erlebten der Feminismus und der Kampf für Frauenrechte gesellschaftlich immer wieder ein Aufleben. Große öffentlichen Organisationen, berühmte Stimmen mit Reichweite, Antisexismusbewegungen, der Global-Gender-Gap-Report, der Welt-Mädchentag – weitere Schritte in eine noch utopische Welt, in der Menschenrechte tiefsitzende gesellschaftliche Denksysteme überwunden haben.
Doch aktuell stocken die Schritte hin zu dieser Utopie nicht nur, sie wenden sich sogar in die entgegengesetzte Richtung. Das sagt uns auch Caro Siems von der Frauenrechtsorganisation medica mondiale: „Seit einigen Jahren beobachten wir und unsere Partnerorganisationen, dass sich die Situation von Frauen und Mädchen weltweit verschlechtert. Schon Jahre vor der Corona-Pandemie sprachen viele Organisationen von einem “Backlash” gegen Frauenrechte.“ Seit 1993 setzt sich media mondiale für eine Welt ein, in der Frauen und Mädchen frei von Gewalt in Würde und Gerechtigkeit leben. Doch aus dieser Arbeit weiß Caro: „Viele feministische Errungenschaften und fest geglaubte Fortschritte, die über Jahrzehnte beharrlich erkämpft wurden, werden wieder in Frage gestellt und zurückgenommen.“
Die Frauen der Welt in Aufruhr
Der Tod von Jina Mahsa Amini hat im Iran Unruhen ausgelöst. Dort sind Männer und Frauen nur angesichts der Todesstrafe gleich. Deshalb kämpfen Iranerinnen landesweit unter hohem Risiko für die geschlechterübergreifende Selbstbestimmung in ihrem Land. Unter der Herrschaft der Taliban verlieren Frauen in Afghanistan seit dem Sommer 2021 immer mehr Rechte. Mutig gehen sie im Protest gegen systematische Unterdrückung auf die Straße. Arbeitsverbote, Schulausschluss, obligatorische Vollverschleierung und ein weitgehender Hausarrest zwingt sie, in vielen Fällen auch ihren Töchtern zuliebe, zu demonstrieren. Dadurch begeben sie sich regelmäßig in Lebensgefahr. Auch in Saudi-Arabien ist das Leben bekanntlich nur für Männer frei.
Selbst in demokratischen Ländern finden schwerwiegende Rückschritte statt. Die USA kippten im Sommer 2022 das staatlich garantierte Recht auf Abtreibung durch eine konservative Mehrheit im Supreme Court, wodurch die Autorität wieder an die Bundesstaaten abgegeben wird. Die Folgen kann man sich ausmalen. Vor allem in den konservativ geprägten Südsaaten ist Abtreibung entweder sehr schwer zugänglich oder so gut wie unmöglich geworden. Die Mitwirkenden an solch einer Gesetzgebung sind mehrheitlich Männer, die so über den Körper und das Leben von Frauen verfügen. Nach dem Urteil in den USA bewertete Papst Franziskus Abtreibung mit den brutalen Worten, sie sei dem Anheuern eines Auftragsmörders gleichzustellen. Auch Polen und Ungarn haben die Abtreibungsregeln in ihren Ländern in den vergangenen Monaten stark verschärft.
Und wie ist die Lage der Frauenrechte in Deutschland?
In Deutschland leben circa 83 Millionen Menschen, davon sind rund 42 Millionen Frauen. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung identifiziert sich als weiblich. Trotzdem ist in Sachen Gleichberechtigung noch viel Luft nach oben. Wie kann das sein?
Die Erwerbsquote bei den Frauen liegt 2019 bei 76,6 Prozent, die der Männer bei 84 Prozent. Die Gender-Pay-Gap liegt bei 6 Prozent, unter Anbetracht gleicher Qualifikation und Tätigkeit und dem Herausrechnen struktureller Unterschiede wie Teilzeitarbeit. Weit mehr als die Hälfte der Führungspositionen sind von Männern besetzt. Dabei sind 50 Prozent der Hochschulabsolventen und 45 Prozent der Promovierten weiblich. Es herrscht auch nach wie vor eine große Ungleichheit des Anteils der Frauen und Männer in der Politik. Wie sollen da Probleme wie Gender-Wage-Gap, Gender-Care-Gap oder Gender-Leadership-Gap gelöst werden?
Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wurde zwar im Juni 2022 abgeschafft. Dadurch dürfen Ärzt*innen jetzt online über Schwangerschaftsabbrüche informieren, ohne sich strafbar zu machen. „Das kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Als nächstes muss Paragraph 218 komplett aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden“, sagt Caro Siems.
Chancengleichheit & Schutz vor Gewalt: Frauenrechte in Heilbronn
Sylvia Payer, die Frauenbeauftragte der Stadt Heilbronn und Dr. Yvonne Zajontz, Gleichstellungsbeauftragte der DHBW Heilbronn, haben im April 2022 den ersten Heilbronner Gender Report veröffentlicht. Dieser kategorisiert und ermittelt die Dimension von genderbedingter Gewalt und Ungleichheit in Heilbronn. Dadurch stellt der Report eine verlässliche Datenlage zur Verfügung, die über anderthalb Jahre hinweg gesammelt wurde.
Frauen stellen 49,8 Prozent der Heilbronner Bevölkerung dar. Dennoch werden sie durch ein klassisches Rollenverständnis im Berufsalltag seltener gefördert. In der Heilbronner Politik ist das Verhältnis eindeutig unausgeglichen. Nur knapp 33 Prozent des Gemeinderats von Heilbronn sind weiblich. Auch bei den Kandidat*innen beläuft sich der Anteil der Frauen nur auf 36 Prozent. Und in den meisten Parteien sitzen deutlich mehr Männer als Frauen. Führungskräfte in Heilbronner Unternehmen sind außerdem zu 69 Prozent männlich. Es fällt ebenfalls auf, dass bis heute eine starke klassische Rollenverteilung in der Berufswelt vorherrscht: Die Bereiche Produktion, Technik, Informatik, Schutz, Bau und Verkehr besetzen größtenteils Männer. In Pflege, Erziehung, sozialer Arbeit und Verwaltung arbeiten hingegen mehr Frauen. Frauen sind außerdem viel häufiger teilzeitbeschäftigt.
Mehr Männer als Frauen machen in Heilbronn ihren Bildungsabschluss. Das liegt aber auch unweigerlich daran, dass die Fakultäten an den Heilbronner Hochschulen hauptsächlich in die Bereiche Technik, Informatik und Wirtschaft einzuordnen sind und es somit generell mehr männliche Studenten gibt.
Schockierend sind das Gewaltvorkommen und dessen Ausprägungsformen in Heilbronn. Zum Vergleich: In Deutschland erleben circa 25 Prozent aller Frauen Gewalt in oder nach Beziehungen durch ihren (Ex-)Partner. Statistiken zufolge wird jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Expartner getötet. Die weiblichen Opferzahlen von häuslicher Gewalt liegen in Heilbronn mit 89 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 81 Prozent.
Caro Siems mahnt, dass auch die Bundesregierung einiges an Handlungspotenzial unausgefüllt lässt. „Die Istanbul-Konvention, das wichtigste europaweite Abkommen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, wurde immer noch nicht vollständig umgesetzt. Es fehlt bei der Umsetzung an wichtigen Schutzmaßnahmen für Frauen, die von Gewalt bedroht sind. Frauenhäuser sind chronisch unterfinanziert.“
Diese Realitäten machen bewusst, dass auch im Selbstverständnis von Heilbronn als progressive Stadt ein grundsätzliches Umdenken stattfinden muss. Feminismus ist angesichts dieser Zahlen keine Frage individueller Überzeugungen, sondern eine Antwort auf klare Statistiken. Eine Antwort, die alle Bürger*innen geben müssen.
Es bleibt ein langer Weg zu gehen
Ob lokal, national oder weltweit: Stillstand ist keine Option. Frauen leiden nach wie vor überall unter der Männerherrschaft, die unserer Welt ohne Zweifel immer noch ihren Stempel aufdrückt.
Die bisherige Rollenverteilung ist tief verankert und ein Umschwung muss radikal sein. Weitreichende Verbesserungen gab es immer nur dann, wenn sich Menschen zusammengeschlossen haben, um für ihre Rechte einzugestehen. Eine Veränderung können Frauen und Männer nur gemeinsam erzielen.
Wo immer auf der Welt Frauen für Frauenrechte kämpfen, brauchen sie unsere Aufmerksamkeit, unsere Solidarität und unser Engagement. Die Wahrheit ist: We should all be feminists. Denn Menschenrechte haben kein Geschlecht!
Text: Anna Wirth | Illustrationen: DALL-E 2
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