Eigentlich wollten wir für diesen Artikel verschiedene Ansichten über das allseits bekannte Wollhaus einholen und gegenüberstellen. Aber wie sich natürlich schnelle herausstellte, gibt es da im Prinzip nur eine Meinung: hässlich, grob, irgendwie aus der Zeit gefallen.
Letzteres lässt sich schon mal nicht von der Hand weisen. Nur die wenigsten kennen den Platz im Heilbronner Zentrum wahrscheinlich noch ohne den grauen Betonriesen – dabei wurde das ursprüngliche „Wollhaus“ unweit des heutigen Standorts bereits Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet. Zu dieser Zeit war Heilbronn besonders unter Kaufleuten ein wichtiger Umschlagplatz für Schafwolle.
Deshalb wurde nicht verkaufte Wolle ab 1852 in der städtischen Wollhalle gelagert. Direkt an der Stelle, an welcher heute das Wollhauszentrum in den Himmel ragt, wurde 1891 hingegen das Heilbronner Stadtbad errichtet. Dieses wurde zwar beim verheerenden Luftangriff auf Heilbronn im Zweiten Weltkrieg zerstört, anschließend jedoch wieder aufgebaut und noch 20 Jahre weiter genutzt.
Erst Anfang der Siebzigerjahre beginnt die Geschichte des Wollhauszentrums in seiner heutigen Form. Ganz im Sinne der schwäbischen Knausrigkeit wollte man sich damals nicht mehr länger ansehen, wie die Heilbronner ihr hart verdientes Geld in Ludwigsburg oder Stuttgart ausgaben. Lieber sollte ein eigenes Einkaufszentrum die Taler schön innerhalb der eigenen Stadtgrenzen halten. So erfolgte der erste Spatenstich am 3. Dezember 1973, zwei Jahre und 70 Millionen D-Mark später steht ein Koloss aus grauem Stein mitten in Heilbronn.
Der wirkt damals natürlich alles andere als altbacken, zumindest auf den ersten Blick entspricht er voll und ganz dem Zeitgeist der Ära seiner Errichtung. So wird das Wollhaus meist dem Brutalismus zugerechnet – einem Architekturstil, der vor allem in der Nachkriegszeit von den Sechzigern bis in die Achtzigerjahre präsent war.
Der Name bezieht sich dabei nicht etwa auf ein „brutales“ Äußeres, sondern ist dem Französischen entlehnt. „Béton brut“, also roher und sichtbarer Beton, das ist die Devise. Dabei gelten drei essentielle Kriterien: Der Grundriss muss formal lesbar sein, die Konstruktion wird klar zur Schau gestellt und die Materialen werden als gegeben wertgeschätzt. All das ist beim Wollhauszentrum jedoch gar nicht der Fall, wie uns Dirk Vogel, stellvertretender Vorsitzender der zur Architektenkammer Baden-Württemberg gehörenden Kammergruppe Heilbronn, erklärt. „Das Wollhauszentrum hat eine Stahlbetonkonstruktion, die kaum sichtbar ist. Die horizontale Bänderung der Sockelgeschosse und des Büroturms besteht aus vorgehängten Natursteinplatten. Nachdem man wegen Sicherheitsproblemen die Fassadenplatten am Turm entfernt hat, kommt zwar mehr Beton zum Vorschein, aber das war ja nie so gewollt.“
Brutalismus wider Willen also, wenn man denn so möchte. Viele Gebäude dieser Stilrichtung weisen zumindest objektiv eine gewisse architektonische Qualität auf und gelten als städtebauliche Wahrzeichen. „Das kann man beim Wollhaus-Center nun wirklich nicht sagen“, urteilt jedoch Herr Vogel.
Dabei sind die Mängel des Gebäudes nicht nur gestalterischer Natur. Auch in Sachen Funktionalität lässt das Wollhaus zu wünschen übrig, denn die Ladenstraßen entsprechen weder der inneren Logik noch dem Kaufverhalten. So liegt ein direkter Eingang zum Ankermieter – ehemals Kaufhof – um die Ecke versteckt, andererseits zieht eben jener Ankermieter die Aufmerksamkeit am Eingang vom Busbahnhof kommend direkt auf sich.
„Die Frequenz in den Nebenarmen nimmt dadurch erheblich ab, zumal ein Ausgang nach Süden ins „Niemandsland“ führt. Das gilt letztendlich auch für das 1. OG, das von den meisten Besuchern des Wollhauses wahrscheinlich noch nie betreten wurde“, wie Dirk Vogel erläutert.
Zwar tat das der Beliebtheit des Einkaufszentrums bis in die Mitte der Neunziger Jahre keinen Abbruch. Doch nach der Jahrtausendwende wurde nicht nur eine Sanierung des Betonklotzes nötig. Spätestens der Auszug von Kaufhof Ende 2015 heizte die Diskussion um eine grundlegende Modernisierung, Nutzungsänderung oder gar einen Abriss des Wollhauszentrums an.
Aber laut Herrn Vogel können zumindest die ersten beiden Vorschläge keine Lösung für die heutigen städtebaulichen und architektonischen Missstände sein: „Es gibt neben dem Abriss einen weiteren durchaus erfolgsversprechenden Weg: Die Investoren schreiben in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Heilbronn einen Realisierungswettbewerb unter Projektentwicklern und Architekten aus.“
Dabei geht es Dirk Vogel nicht nur um die Aufwertung des Gebäudes an sich, sondern auch um die Qualität der umliegenden Flächen wie dem Busbahnhof oder der Häuserzeile Am Wollhaus. So sollen übergeordnete Entwicklungsziele für das Areal und seine umliegenden Straßen gefunden werden sowie die bestehende Substanz des Gebäudes hinsichtlich ihrer Weiterverwertung analysiert und bewertet werden. Anschließend schlägt Herr Vogel eine Verwendung der erhaltenswerten Komponenten des Wollhauszentrums und die Einbeziehung des heutigen Busbahnhofs mittels komplementärer Ergänzungsbauten vor.
„Auf Grund der dadurch möglichen Neuordnung des Quartiers und zusätzlich zu erzielender Flächen könnte hieraus eine Win-Win-Situation entstehen“, befindet der Heilbronner Architekt.
Wie und ob sich das Gebäude künftig in das Stadtbild einfügen wird, ist also weiterhin offen. Eines ist jedoch sicher: mit all seinen Fehlern und der berechtigten Kritik von vielen Seiten ist das Wollhauszentrum eines der bekanntesten Bauwerke Heilbronns, das auch nach über 40 Jahren immer wieder für Diskussionsstoff sorgt.
[FD]
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