Frei und doch eingesperrt

Annette Pehnt: Die schmutzige Frau (Rezension)

“Die schmutzige Frau“ von Annette Pehnt

Eine Frau lässt uns an ihren Gedanken teilhaben. Sie zieht in eine Wohnung mit Ausblick über die Stadt, vollmöbliert, schick eingerichtet. Ihr Mann hat sie ausgewählt, nachdem eine ominöse Entscheidung getroffen wurde: Sie soll alleine dort leben, um genug Zeit und Muße zu haben, zum Beispiel zum Schreiben. Die Wohnung ist nicht abgeschlossen, doch sie verlässt sie nicht. Was hält sie dort? Und was verraten die Geschichten, die sie schreibt?


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Annette Pehnt schafft in ihrem Versroman “Die schmutzige Frau“ eine beklemmende Atmosphäre im Kopf einer Frau, die von mehr zurückgehalten wird, als den vier Wänden um sie herum. Ihre Gedankenwelt als erzählerisches Mittel reicht aus, um lebendige Bilder zu erzeugen. Denn in ihrer Einsamkeit stellt sie die unterschiedlichsten Beobachtungen voll sprachlicher Feinheit an.

Sie geht wortreich ihre Möglichkeiten durch, um sie wieder zu verwerfen. Und lässt gerade so sehr hinter ihre tägliche Eintönigkeit blicken, dass man sich wünscht, ihr Fragen stellen zu können. Nach und nach erfährt man Details aus ihrem früheren Leben, die beweisen, dass sie eines hatte – doch was zwischen ihr und ihrem Mann vorgefallen ist, um das merkwürdige Arrangement auszulösen, bleibt ungeklärt.

Stattdessen entsteht durch ihre Geschichten über “Die schmutzige Frau“ eine Metaebene, in der es um den Zusammenhang zwischen Schönheit und Wahrnehmung, Selbstwertgefühl und Bindung geht. Kontinuierlich verfolgen die Leser*innen folgende Fragen: Ist die Protagonistin die schmutzige Frau? Was hat sie „unrein“ gemacht? Hat sie den Kontakt zur Realität verloren? Oder wird sie sich über die oberflächlich liebevolle Fürsorge ihres Mannes – die immer mehr wie unterschwellige Gewalt wirkt – hinwegsetzen, die Tür aufstoßen, um Hilfe rufen, irgendetwas tun?

Annette Pehnt veröffentlichte in ihrer bisherigen Laufbahn als Schriftstellerin bereits acht Romane, vier Erzählungen sowie zahlreiche Kinderbücher und Monographien. Außerdem hält sie die Professur für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Stiftung Universität Hildesheim inne. „Die schmutzige Frau“ ist ihr neunter Roman und erschien am 26. Januar 2023 im Piper Verlag.

Text: Dana Wedowski