„Auf der Kippe“ von Emma Pattee
Annie steht hochschwanger im Ikea, als Portland – und die gesamte Westküste der USA – von einem großen Erdbeben erschüttert wird. Ein ganz normaler Tag mit ganz normalen Sorgen um Eheprobleme, die nahende Geburt und schwindende Karriereträume wird zu einem apokalyptisch anmutenden Abenteuer: Annie kämpft sich zu Fuß durch die zerstörte Stadt, um ihren Mann zu suchen.
Zwischen Zynismus und Hoffnung, Humor und Verzweiflung bewegt sich nicht nur die Stimmung der Protagonistin, sondern auch die der Leser*innen, während Annie einen nicht enden wollenden Tag durchlebt. In einem inneren Dialog mit ihrem ungeborenen Kind, das sie liebevoll mit „Krümel“ anspricht, teilt sie ihre Ängste vor und während der Katastrophe. Dabei gibt gibt sie immer wieder Einblicke in die Schlüsselmomente ihres bisherigen Lebens. Sie lernt ihren Mann kennen, als sie Theaterstücke schreibt und er als Schauspieler startet. Nun jobbt er nebenher im Café und sie hat einen unspektakulären Vollzeitjob.
Was würde ich tun, wenn die Erde bebt?
In die ferne rückende Erfolgsvisionen, der frühe Tod ihrer Mutter und die immer deutlicheren Zeichen des Klimawandels formen Annies Gedanken. Dazu gesellen sich nach dem ersten Beben die Angst um ihre Familie, der alles überschattende Wunsch, zu dritt vereint zu sein, und ein animalischer Überlebensinstinkt. Mal trifft sie auf unerwartete Menschlichkeit, mal muss sie sich gegen blanke Gier zur Wehr setzen oder selbst Teil der entfesselten Massen werden.
Der Roman liest sich flüssig. Wie in einem angespannten Sog verfolgt man Annies Mission, spürt ihre Getriebenheit und die unerbittliche Sonne Portlands. Manche Stellen sind schwer zu ertragen, manche Passagen spiegeln unser aller Alltag perfekt wider. So fragt man sich am Ende: Was würde ich tun, wenn die Erde bebt?
Emma Pattee schreibt als Journalistin unter anderem für The New York Times, The Atlantic und The Washington Post über den Klimawandel. „Auf der Kippe“ ist ihr erster Roman und erschien am 2. Mai 2025 im Piper Verlag.
Text: Dana Wedowski
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