Auch wenn sich die Umfrageergebnisse zur Bundestagswahl 2021 ständig um 180 Grad drehen, steht eines fest: Nach diesem Herbst werden wir eine neue Bundesregierung haben. Und auf die warten viele Aufgaben, die dringend angepackt werden müssen. Aber welche Themen wurden viel zu lange vernachlässigt? Und wo sollte das frischvereidigte Kabinett nach der Wahl als erstes tätig werden? Wir haben vier Menschen aus Heilbronn nach ihrer Meinung zur Bundestagswahl gefragt.
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Fabian (31), Leingarten
Ich glaube, eines unserer größten Probleme ist die Qualität unserer Politiker selbst. Nicht im Sinne des IQs, sondern der menschlichen, sozialen und realitätsnahen wirtschaftlichen Kompetenz. Der Werdegang zum „Spitzenpolitiker“ ist geprägt von altertümlichen Vereinen und unendlich langen Prozessen. Nahezu kein Mensch mit stark ausgeprägtem Sozialleben und dem Drang, etwas zu erreichen, kann unter diesen Verhältnissen einen Weg in die Politik wählen, sondern strebt in die anderen Bereiche. Um sich diesem Problem zu widmen, sollte man für die einzelnen politischen Stellen meiner Meinung nach offene Bewerberrunden fahren. Gerne und vielleicht sogar am besten parteiunabhängig, oder die Gremien sollten gemischt besetzt sein.
Wie soll man denn das Beste aus einem Land herausholen, wenn die Besten, beziehungsweise Menschen mit dem höchsten Potential in der Wirtschaft, Medizin, sozialen Welt und viel mehr verschwinden? Es gibt so viele akute und wichtige Themen da draußen. Aber ohne die richtigen und vor allem fähigsten Menschen, die sich diesen annehmen, performen wir doch immer schlechter als wir eigentlich könnten.
Mustafa (46), Neckarsulm
Ich denke, die Politik sollte das Thema Mindestlohn stärker in ihre Agenda aufnehmen. Im digitalen Zeitalter profitiert wirtschaftlich derjenige, der online seine Dienste weltweit anbieten kann. Das heißt, von der Digitalisierung profitiert nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Jedoch können Menschen, die vor Ort ihre Arbeit leisten müssen, nicht an der Digitalisierung teilnehmen. Berufe wie Pfleger, Metzger, Fleischer, Straßenkehrer und so weiter. Das heißt: Berufe, die wichtig sind, um das Sozialgefüge aufrechtzuerhalten. Jedoch werden die Berufe nicht gerecht entlohnt. In Großstädten ist es nicht möglich, mit diesem Gehalt ohne finanzielle Unterstützung zu überleben. Der Immobilienmarkt zeigt es sehr deutlich.
Wenn es in diesen Berufen zu einem gerechteren Mindestlohn kommen würde, würde auch immer mehr junge Menschen diese Berufe ausüben. Sonst wird es dazu führen, dass das soziale Gefüge in vielen Stadtteilen in der BRD zusammenbrechen wird. Allein die Demographie zeigt, dass in Zukunft weniger Menschen in den Arbeitsmarkt kommen werden. In diesem Bereich muss natürlich die Politik mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, um diese Dumpinglöhne durch Sub-Sub-Unternehmerverträge zu unterbinden.
Jennifer (34), Leingarten
Ganz klar sind die Themen Klimaschutz und Tierhaltung einige der wichtigsten Punkte für mich. Einen großen Anteil an der Klimaänderung hat die industrielle Tierhaltung. Obwohl sich mittlerweile rund 8 Prozent der Deutschen vegan oder vegetarisch ernähren, verzehrt jeder Deutsche im Durchschnitt, also Kinder und Vegetarier eingerechnet, jährlich rund 60 Kilogramm Fleisch – das ist doppelt so viel wie das, was unsere Großeltern so gegessen haben. Ein Kilo Rindfleisch setzt umgerechnet etwa 12,3 Kilo CO2 frei. Die Massentierhaltung verursacht also mehr CO2-Ausstoss als alle Fahrzeuge dieser Welt zusammen. Das Methan, das ausgestoßen wird, ist 86 mal schädlicher als das CO2, das Fahrzeuge ausstoßen. Viele kaufen ihr Fleisch mittlerweile beim Metzger ums Eck und trotzdem sind 98 Prozent vom verspeisten Fleisch in Deutschland aus der Massentierhaltung. Auch der Metzger ums Eck kann diese Massen meist nicht nur mit eigenen regional gehaltenen Tieren decken.
Wir müssen wieder mehr Bezug dazu haben, was wir essen. Wo kommt das Fleisch WIRKLICH her, nicht wo wurde es zerlegt und wie wurde das Tier gehalten!? Eine Möglichkeit, einen Wandel zu fördern wäre es zum Beispiel, nachhaltige Lebensmittel mehr und konventionelle weniger zu subventionieren, die Mehrwertsteuer für Tierprodukte zu erhöhen oder eine pauschale zusätzliche Abgabe für Tierprodukte einzuführen. Außerdem bin ich der Meinung, dass dies im Schulsystem mit aufgenommen werden sollte. Dort wird ja immer noch erklärt, dass die Kuh auf einer grünen Wiese strahlt und friedlich einschläft, bevor man sie auf dem Teller hat. Ich weiß, dass viele nicht auf ihr Fleisch verzichten können und das ist auch absolut in Ordnung. Jeder sollte aber versuchen, den Konsum ein wenig zu verringern. Wenn nicht für die eigene Gesundheit oder die Umwelt, dann wenigstens für unsere Kinder, welche die Folgen für unser egoistisches Verhalten tragen müssen.
Arbresh (33), Heilbronn
Für mich sollte die neue Regierung als allererstes dringend die Steuern für die hart arbeitende Mittelschicht senken. Was viele noch nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen: Die 1,5 Billionen Euro, die von der EZB gedruckt wurden als Corona-Hilfspaket, werden zum Schluss zu Lasten der Mittelschicht in Form von einer hohen Inflation oder wie schon bekannt über den Minuszins zurückgeholt. Nicht zu vergessen die permanent steigenden Steuern in allen Bereichen. In erster Linie ist für mich ganz klar erst mal die Politik gefragt, dieses wichtige Thema zu lösen, bevor es wie auch in der Vergangenheit der normal arbeitende Bürger ausbaden muss. Oder es noch schlimmer in einer Währungsreform oder Hyperinflation endet.
[FD] / [SC]
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