„Woher nehmt ihr euch das Recht, meine persönliche Grenze zu überschreiten?“

Special Report 0521 - Josephine (Grenzen)

Von Josephine (22) aus Heilbronn

Mein Name ist Josephine (22), geboren und aufgewachsen bin ich im Heilbronner Umkreis. Ich konnte eine freie und offene Erziehung genießen, die sich auch in meiner Persönlichkeit widerspiegelt.


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CONTENT-WARNUNG: Sexualisierte Gewalt

Der/im Verruf der persönlichen Grenzen… Schuldfrage… ich bin kein Touchscreen?…

Wie nah darf man einer Person kommen und ab welchem Moment übertritt man die Grenzen der Sicherheit? Diese Antwort ist einfach, jedoch zeitgleich individuell. Jeder Mensch hat seine eigene persönliche Grenze, die jeder Mitmenschen wahren und respektieren muss. Ohne Einverständnis ist ein Grenzübergang hierarchisch, dominierend und einfach egoistisch! Sollte man deine Grenzen übertreten, scheue dich nicht, dich zu wehren. Denn das ist das einzige, das hilft. Keine Scham, keine Schuld und keine Scheu. Denn du hast das Recht auf deine persönlichen, individuellen Grenzen in jeder Gesellschaft, denn du bist Mensch!

Jede kennt die dämlichen Sprüche nur gut genug, so dass ich diese hier nicht ansatzweise wiederholen muss! Jede kennt die Situation, ungewollt angefasst zu werden: Arsch anfassen, Arm streicheln, Oberschenkel tätscheln. Ich selbst kann mich an unzählige Ereignisse dieser Art erinnern. Sie lösen in mir einen Hass aus. Als wäre man ein Objekt der freien Verfügung?! Als wäre man ein Tier, welches sich eine solche Zuwendung wünscht?! Was denkt ihr euch dabei? Woher nehmt ihr euch das Recht, meine persönliche Grenze zu überschreiten? Ich missachte eure Grenze doch auch nicht!

Reflektiert ihr eigentlich was ihr Frauen damit antut? Welche Gefühle und Gedanken ihr in uns auslöst, die uns künftig in unserem Leben begleiten werden? Es lässt uns fühlen, als wären wir Gegenstände, wie eine Lampe, die man sich als Dekoration ins Wohnzimmer stellt. Würde euch dieser Anspruch der Persönlichkeit und Menschlichkeit gefallen? Oft wird es damit abgetan: „Ich finde dich doch nur mega heiß…“ Lasst mich euch einen bedeutenden Unterschied erklären: Man kann einer Frau auf viele Arten vermitteln, dass man sie begehrenswert findet, ohne ihre Grenzen zu überschreiten! Zum Beispiel mit Kommunikation auf Augenhöhe oder charmanten Komplimenten? Oder man kann ein dummes Arschloch sein, welches nur auf seinen Sexualtrieb fokussiert ist und aus purem Egoismus bei Menschen traumatisierende Erlebnisse hinterlässt…

Im Endeffekt muss das „Opfer“ es selbst ausbaden. In den geringsten Situationen hatte ich das Gefühl unterstützt zu werden – davon ausgenommen sind meine Freunde. So etwas wie Zivilcourage habe ich persönlich leider selten erlebt. Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der ich ungefähr 15 Jahre alt war. Ich saß im Bus und es war Sommer. Bestimmt waren es um die 28°C. Selbstverständlich trug ich an einem solch heißen Tag damals eine normale kurze Jeans-Shorts. Der Bus war bis auf eine Handvoll Personen leer. Dann setzte sich ein 40-jähriger Mann neben mich.

Stück für Stück rutschte er immer näher zu mir herüber und legte seine Hand auf meinen nackten Oberschenkel. Ohne meine persönliche Grenze zu respektieren bedrängte mich der deutlich ältere Mann. Ich schlug die Hand entsetzt weg und setzte mich an einen anderen Platz. Es war ein ekelhaftes Gefühl, das ich so gar nicht beschreiben kann. An manchen Tagen habe ich diesen Mann zufällig gesehen und jedes Mal ist mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen.

Das war meine erste Erfahrung mit sexueller Belästigung. Es war mitten am Tag, an einem öffentlichen Platz und dieser Mann hat es offensiv und offensichtlich getan. Hatte er keine Angst, erwischt zu werden? Oder war ihm bewusst, dass ich mich nicht trauen würde, etwas zu sagen? Bei wie vielen hat er ein solch forsches Vorgehen schon ausgeübt? Diese Vorstellung ist irgendwie sehr traurig und macht mich sauer. Ich habe kein Wort darüber verloren, ich fühlte mich so beschämt, dass ich es einfach vergessen wollte. Ein Fehler.

Ebenfalls in meiner ersten Beziehung habe ich nichts gesagt. Was ein noch viel größerer Fehler war. Ich habe nichts gesagt, als er mich gefickt hat, obwohl ich es nicht wollte. Ich hab nichts gesagt, weil ich Angst hatte vor den Konsequenzen. Manchmal erträgt man lieber den psychischen Schmerz als den körperlichen. Er hat es immer und immer wieder getan und ich habe es immer und immer wieder mit mir machen lassen. Diese Haltung hat mich nicht vor den sichtbaren Narben an meinem Körper geschützt. Doch die Narben konnte ich stets gut verstecken… aus Scham, aus Angst und aus Gründen, die ich heute nicht mehr so nachvollziehe.

Am Anfang fühlt man sich benutzt, beschmutzt, ekelig und beschämt. Es ist ein Gefühl, welches ich nicht beschreiben und greifen kann. Dieses Gefühl brach mich bis zur völligen Leere. Alles um einen herum fühlt sich fern an. Sämtliche Geräusche gedämpft. Der Kopf wie in Watte. Selbstschutzmechanismus. Irgendwann war ich so leer, dass ich keine Angst mehr hatte. Keine Angst vor ihm. Keine Angst mehr vor den Schmerzen. Ich hatte nicht mal mehr Angst zu sterben.

Und kam der Wendepunkt. Ich habe damals so wie heute nichts gesagt, weil ich mich geschämt habe. Ich habe mich geschämt, dass ich nicht den Mut hatte, mich zu wehren. Und ich bereue es immer noch, dass ich nichts gesagt habe! Ich habe bis heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke. Ich stelle mir bis heute die Frage, wem er es noch angetan hat und wer dasselbe erleben musste? Denn nur weil der Moment zeitlich vorbei ist, ist es noch lange nicht vorbei. Jahre danach hatte ich noch Albträume. Albträume, in denen ich das Verdrängte in vollem Bewusstsein erneut erlebt habe.

Dieses Kapitel gehört zu meinem Leben. All diese grenzüberschreitenden Erfahrungen haben mich gelehrt, für mich einzustehen. Ich habe gelernt, damit zu leben und ich habe gelernt, dass ich kein Blatt mehr vor den Mund nehmen werde! Ich bin überzeugt davon, dass manchen Menschen ihr Handeln nicht stets bewusst ist. Oder es ist ihnen einfach scheißegal, welches Leid sie anderen zufügen. Es ist ihnen scheißegal, dass sie einem Verletzungen zufügen. Verletzungen, die viel Zeit zur Heilung benötigen und meist eine lebenslange Narbe hinterlassen.

Verdammt, bitte macht euch bewusst was um euch herum geschieht! Macht euch bewuss,t wie ihr mit euren Mitmenschen umgeht, wie ihr ihnen begegnet und was in eurer Umgebung geschieht. Die Thematik #MeToo ist nach wie vor so präsent und jeder einzelne kann mit uns in Richtung sicherer Hafen steuern.


Die Autorin bei Instagram: @seiltaenzer_