Resilienz als Wegweiser

Semiha Degirmenci: Ausschnitt aus „Kadi(e)r“
Ausschnitt aus dem Film „Kadi(e)r“

Künstlerin Semiha Degirmenci im Portrait

Ich bin verabredet mit Semiha, in ihrem eigenen Studio. Ich weiß nicht genau, was mich erwartet. Aber als ich ankomme, bin ich beeindruckt. Ich bin sehr neugierig und frage ganz wild drauflos: „Wie alt bist du? Wieso hast du ein eigenes Studio? Was genau machst du?“

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Musikerin, Fotografin, Filmemacherin

Semiha ist 26 Jahre alt und die Tochter einer alleinerziehenden, starken Mutter. In ihrem Studio gibt es eine kleine Ecke mit einem Mikrofon für Musikaufnahmen. Eindeutig macht Semiha Musik. Doch sie ist nicht einfach eine Musikerin, sie ist Künstlerin durch und durch. Aktuell studiert sie an der Merz Akademie in Stuttgart mit einem Stipendium. Semiha kann und möchte sich nicht festlegen: Sie ist Musikerin, Fotografin und Filmemacherin. Auf YouTube kann man schon einige ihrer persönlichen Projekte bestaunen.

Eines ihrer Projekte ist „Leiden-schafft“. Hier möchte sie Talente vorstellen und zeigen, wie sehr Leiden und Hingabe aufeinander Einfluss nehmen. Ihr ist auch nicht alles zugeflogen. Lange hat sie sich in den Dingen, die sie tat, nicht wohl gefühlt. Mit dem Ziel, ihre Kreativität zu fördern, begann sie eine Ausbildung als Schreinerin. Sie fühlte sich eingeschränkt durch all die Vorgaben der Ausbildung und hatte nicht das Gefühl, sich entfalten zu können. Deswegen brach sie diese Ausbildung im zweiten Lehrjahr ab.

Semiha Degirmenci (Foto: Memorix)
Foto: Memorix

Auf der Suche

Als ich sie frage, was sie als allererstes machen wollte, erzählt Semiha: „Ich habe professionell Fußball gespielt und dachte, ich werde mal Fußballerin.“ Fußball wurde für die junge Künstlerin irgendwann uninteressant. Sie musste nebenher viel arbeiten und die Bedingungen im Sport, vor allem für eine Frau im Fußball, waren nicht gut. Auf der Suche nach ihrer Bestimmung hat Semiha alle möglichen Jobs ausprobiert.

Sie war früh unabhängig und verdiente ihr eigenes Geld, aber irgendwie ging es für sie lange nicht voran. „Ständig dachte ich mir, warum nichts klappt. Alle von meiner Schulzeit machten schon den Bachelor oder schlossen ihre Ausbildungen ab. Ich beschäftige mich viel mit der Frage, was ich jetzt machen möchte.“ Obwohl sie die einzige Person in ihrer Familie mit einem Abitur war, fehlte ihr eine Perspektive. Heute ist sie die erste ihrer Familie, die studiert.

Neue Perspektiven in der Kunst

Bei einem Workshop an der Merz Akademie wurden ihr die Augen geöffnet. Kunst ist das, was sie machen möchte. Semiha fühlt sich als junge Frau mit Migrationshintergrund jedoch nicht repräsentiert. Sie sieht eine große Herausforderung darin, sich in der Medienbranche zu etablieren. Genau deswegen beschäftigt sie sich heute viel mit dem Thema Herkunft. Sie singt und schreibt türkische Lieder. Auf ihrer Instagram-Seite @semiljackson gibt es Videos und Bilder, die das widerspiegeln.

Sie möchte mit ihrer Kunst das Gefühl verarbeiten, das viele Kinder und Enkel von Zuwanderern empfinden. Es geht ihr darum, das Empfinden mangelnder Zugehörigkeit auszudrücken. Ihr Anliegen ist es, mit ihrem eigenen kulturellen Hintergrund Geschichten zu erzählen und andere Perspektiven zugänglich zu machen. Sie möchte mit ihren Videos Klischees aufdecken und Vorurteile bekämpfen. Semiha ist eine Künstlerin und ein Role Model. Sie zeigt auf, dass man, wenn man seinem Herzen folgt, seine Bestimmung findet und dass Beharrlichkeit seine Früchte trägt.

Text: Cansu Çak