Heimleiterin Alexandra Seidel über das Haus am Wunnenstein
Zwischen Wäldern und Weinbergen, ganz am Rand des Landkreis Heilbronn, liegt Winzerhausen. Seit 2018 befindet sich in dem zu Großbottwar gehörenden Dörfchen das Haus am Wunnenstein. Die Einrichtung der Karl-Schaude-Stiftung bietet insbesondere Menschen mit chronisch psychischen Erkrankungen und demenziellen Veränderungen ein Zuhause. Alexandra Seidel, selbst ausgebildete Altenpflegerin und Pflegedienstleiterin, hat im Januar 2023 die Heimleitung übernommen. Mit ihr sprachen wir über das besondere Pflegekonzept des Hauses und aktuelle Herausforderungen in diesem wichtigen Beruf.
Auch interessant:
Welche besonderen Bedürfnisse haben die Menschen, die im Haus am Wunnenstein leben?
Grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse wie wir alle, nach Heimat, Zugehörigkeit, Selbständigkeit und Autonomie. Wir bieten den strukturellen Rahmen, die pflegefachliche Unterstützung und Hilfestellung zur Erreichung dieser Ziele. Natürlich sind diese nicht immer vollständig erreichbar, aber wir arbeiten gemeinsam mit den Menschen daran, sie zu erreichen. Wir bieten psychosoziale Unterstützung und Aktivitäten, die eine sinnvolle Tagesstruktur schaffen. Außerdem viel Raum für Bewegung, Kommunikation und auch für Spaß und Freude. Ein wichtiges Bedürfnis ist ebenfalls das Wohnen. Ein großzügiges und schönes Zimmer gestaltet nach den Wünschen des Menschen, ein Raum für den Rückzug. Und ganz wichtig: Wir fragen nach den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen, die zu uns kommen.
Wie kommen die Menschen zu Ihnen?
Oft über Berufsbetreuer und Sozialdienste. Sofort nach dem Einzug beginnen wir mit der Hilfe zur Integration. Hierbei lernen wir den Menschen und seine individuellen Ansprüche sehr gut kennen. Uns hilft dabei ein sehr gutes Mitarbeiterteam mit viel Erfahrung. Wir respektieren und beachten am Anfang des Einzugs auch den Wunsch nach Rückzug, wir geben Zeit zum Ankommen.
Den Bewohnerinnen und Bewohnern Ihrer Einrichtung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – wie gelingt das?
Unsere berufliche Grundhaltung und unsere Pflegephilosophie ist die Wahrung der Selbstbestimmung. Wir versuchen die Selbstbestimmung des Menschen in allen Bereichen soweit als möglich zu fördern. Wir informieren, beraten und unterstützen – aber letzten Endes entscheidet der Mensch für sich.
Welche Ausbildung haben die Mitarbeitenden im Haus am Wunnenstein? Braucht man eine spezielle Ausbildung für diese Art von Pflegeeinrichtung?
Unsere Pflegefachkräfte sind Altenpfleger*innen und Pflegefachfrau oder -mann. Wir würden uns über Bewerbungen von Fachkrankenpfleger*innen für Psychiatrie freuen, die mit ihrem Wissen unser Team ergänzen. Ich möchte aber auch die Pflegehelfer*innen und Betreuungskräfte nicht unerwähnt lassen. Nur im gesamten Team können wir unseren Bewohnern Sicherheit und Lebensqualität geben.
Im Leitbild Ihres Hauses wird auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt als wichtiger Wert betont. Wie spiegelt sich das in Ihrer Arbeit wider?
Das wir unseren Teil zum Umweltschutz beitragen, war und ist unseren ehrenamtlichen Vorständen eine Herzensangelegenheit. Mit großem Einsatz wurde von ihnen bei allen baulichen Vorhaben die Nachhaltigkeit als Kernthema eingebracht. Bereits in unserem Neubau 2018 installierten wir eine Photovoltaikanlage und nutzen schon seit damals die Sonnenenergie. Auch bei unserem neueröffneten Anbau haben wir eine weitere PV-Anlage in Betrieb genommen, sodass wir das Haus zum größten Teil mit erneuerbaren Stromenergien versorgen können. Des Weiteren wird bei uns im Hause durch das Küchenteam gekocht, das natürlich auch ressourcensparend arbeitet und stets auf regionale und saisonale Produkte achten.
Spielt die Lage des Haus am Wunnenstein im beschaulichen Winzerhausen auch eine Rolle für das Pflegekonzept?
Ja, Winzerhausen ist sehr dörflich gelegen. Allerdings ist es insbesondere für unsere Pflegegäste, die mitunter auch mit einer Alkoholproblematik kämpfen, ein perfekter Standort. Bis auf einen kleinen Laden gibt es hier keine weiteren Geschäfte, sodass der Alkoholeinkauf von uns etwas überwachbar ist. Des Weiteren lädt die wunderschöne Landschaft mit Ihren Weinbergen und Wäldern zum Spazierengehen ein.
Da wir eine Kollegin in der Betreuung haben, die gerne auch mal ihren Hund mitbringt, gehen unsere Pflegegäste dann noch lieber spazieren. Dennoch ist bei uns niemand nur ans Haus gebunden, sodass man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln natürlich gerne in das nahegelegene Großbottwar fahren kann. Wir machen auch einmal wöchentlich eine Einkaufsfahrt mit unserem schon in die Jahre gekommen Bus. Für unsere Mitarbeiter*innen hat die Lage außerdem einen ganz einfachen Vorteil: Die Mieten hier sind durchaus bezahlbar und die Wohnräume meist schön gelegen, mit Aussicht und Ruhe. Und doch Nahe an Ludwigsburg und Heilbronn.
Der Pflegenotstand in Deutschland ist nicht erst seit heute ein bekanntes Problem. Macht Ihnen das in Ihrer täglichen Arbeit auch Sorgen?
Ich denke, das sollte nicht nur meine Sorge als Heimleitung sein. Hier sind die Gesellschaft und Politik gefragt. Wie soll das werden? Und ihr, liebe Leser*innen: Das Klatschen für unsere Arbeit ist verstummt und wir kämpfen täglich weiter, auch ohne Corona, damit Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Ihr dürft gerne statt zu klatschen auch mal vorbeikommen und den Menschen mit kleinen Gesten wie einem Spaziergang zeigen, dass sie trotz Erkrankung ein Teil dieser Gesellschaft sind. Sorry, aber bei dieser Frage werde ich schon auch mal emotional…
Finden Sie aktuell noch Leute, die diesen Beruf ergreifen wollen?
Wir sind sehr aktiv im Recruiting von Fachkräften aus dem Ausland. Leider gestaltet es sich häufig zäh. Finanziell schwierig, da die Kostenerstattungen von Bund und Land nur minimalistisch sind. Ausbildung ist deshalb unsere Hauptstrategie. Auch hier heben wir uns von anderen Trägern ab. Wir haben eigens eine Lehrerin, die die Azubis neben dem Mentor begleitet. Aktuell kann ich sagen, dass wir eine stabile Personalsituation haben. Das ist aber nicht nur Zufall. Wir unterstützen Mitarbeiter*innen auch in Belangen außerhalb des Dienstes zum Beispiel bei der Wohnungssuche und auch Angebot von Wohnraum in Form von WG in eigenen und angemieteten Objekten. Außerdem unterstützen wir bei Behördengänge und vielem mehr.
Dennoch haben auch wir offene Stellen in allen Bereichen. Mit unserem Anbau, der im März eröffnet hat, haben wir ein Zuhause für 101 Menschen geschaffen. Zudem eine solidere Kurzzeitpflege für 13 pflegebedürftige Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Auf diese bin ich besonders stolz. Das ermöglicht den pflegenden Angehörigen Zuhause mal eine Verschnaufpause. An dieser Stelle möchte ich meinen Hut ziehen vor deren Einsatz.
Interview: Florian Deckert | Fotos: Karl-Schaude-Stiftung
Einen Kommentar hinterlassen