„Man bemerkt jetzt die Generation, die zwei Jahre nicht feiern gehen konnte“

Behind The Beats - Raphael Dincsoy (1)

Behind The Beats mit Raphael Dincsoy

Vorhang auf für Benztown‘s Finest! Raphael Dincsoy aus Stuttgart ist nicht nur Booker des allseits beliebten Lehmann Club, sondern auch deutschlandweit selbst als DJ unterwegs. Deshalb hatte im Herbst 2021 quasi gleich doppelt Grund zum Feiern, da die Tanzlocations endlich wieder feierwütiges Publikum in Empfang nehmen durften. Wir haben Ende Oktober mit Raphael über die ersten Wochen seit der Rückkehr von etwas Normalität im Nightlife geplaudert.


Mehr DJ-Interviews:

  1. Behind The Beats - DeniZ
  2. Django - Interview Unchained (1)
  3. Behind The Beats - DJ Belvoir

Zurück nach 18 Monaten Stillstand

Hallo Raphael, wir freuen uns, dass wir dich als Urgestein der Stuttgarter Techno-Szene in unserer aktuellen Ausgabe begrüßen dürfen. Nachdem nun auch in Stuttgart die Corona-Auflagen gelockert wurden und die meisten Clubs wieder öffnen durften, erzähl uns doch mal, wie das Nachtleben in Stuttgart angelaufen ist?
Urgestein klingt ja als wär ich steinalt (lacht). Aber ja, tatsächlich bewege ich mich nun schon ungefähr 21 Jahren im Nachtleben. Ich kann hier natürlich vornehmlich für uns als Lehmann-Club sprechen. Wir sind froh, dass wir seit dem 25. September wieder öffnen dürfen. Wenn einem knapp 18 Monate das genommen wird, für was man eigentlich brennt und lebt, ist das schon ein schwerer Schlag. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Schaden. Daher sind Freude und Motivation aktuell groß. Die Lehmann-Nächte liefen wahnsinnig gut an. Teilweise stellen sich unsere Besucher schon ab 20, 21 Uhr an – obwohl wir erst um 0 Uhr öffnen. Es ist natürlich noch lange nicht alles wie gehabt, beziehungsweise wie es sein sollte. Aber wir hoffen, dass es stetig zurück zur „Normalität“ geht. Generell ist im Stuttgarter Nightlife aktuell eine positive, gute Stimmung und man hat das Gefühl, dass die 18 Monate „Stillstand“ die Clubs, Betreiber und Promoter etwas zusammengeschweißt haben.

Behind The Beats - Raphael Dincsoy (2)

Wird sich deiner Meinung nach etwas ändern am Ausgehverhalten der Gäste oder denkst du, dass es sich wieder in „gewohnte“ Bahnen einpendeln wird?
Am Beispiel Lehmann kann ich eine Riese Euphorie der „Techno-Kids“ erkennen. Man bemerkt deutlich die Generation, die jetzt fast zwei Jahre gar nicht feiern gehen konnte und hier viel nachholen möchte. Es ist schön zu sehen, wie viele neue, junge Leute in diesem Bereich nachkommen und sich für den Sound begeistern können.

Neues Label, neue Musik

Nun zu deiner eigenen Musik: Du hast an einem eigenen Album gearbeitet. Erzähl uns mehr darüber. Was können wir erwarten?
Das stimmt! Durch die viele freie Zeit in der Pandemie musste ich mich erstmal selbst neu ordnen. Es gab unzählige Ups und Downs und oft viel es mir schwer positiv zu bleiben. Glücklicherweise kam ich irgendwann an den Punkt, dass ich mich sehr viel mit „neuer“ Musik beziehungsweise verschiedenen Genres abseits von Techno beschäftigt habe. Klassischer Electro, Break Beats, Ghetto Tech, aber auch 80s-angehauchten EBM, Indie Dance Music, Italo Disco und so weiter. Electro, Ghetto House und Ghetto Tech waren schon vor Corona oft Teil meiner Sets, aber produziert habe ich nie wirklich in die Richtung. Das Album wird diesen musikalischen Wandel recht gut widerspiegeln. Sprich viel Electro, Breaks, Rave, aber natürlich auch ein bisschen Techno. Zudem wird es, wie der Titel 0711 verrät, auch eine Art Homage an „meine“ Stadt.

Dein neues Label „Halbwelt“ hat neulich einen ersten Track released. Beim Anhören wird man schnell neugierig, weil der Sound total unkonventionell ist. Man merkt, hier möchte jemand neue Wege gehen. Was treibt dich bei deiner Arbeit für „Halbwelt“ an?
Tatsächlich vor allem die Lust, musikalische Grenzen aufzubrechen. Die erste Nummer war ja nur ein Free Track, ein Edit aus dem Klassiker „Ruff Ryders Anthem“ von DMX und einer aktuellen Nummer von Shygirl, „Uckers“. Sprich: Irgendwas zwischen Trap, Rap, House Ghetto Vibes. Das Album und auch das Label werden da langfristig schon eher für clubtauglichere Musik stehen. HALBWELT steht für Electro, Ghetto, Bass und Breaks mit ein bisschen Streetculture und Rap-Attitüde. Ich denke, so lässt es sich am einfachsten zusammenfassen.

Brain Storming mit Raphael Dincsoy

Digital oder analog?
Schwer zu sagen. Ich denke, hier kommt es wie bei vielem auf eine gesunde Mischung an. Ich bin 1982 geboren, das heißt ich gehöre genau zu der Generation, die in beiden „Welten“ zu Hause ist und auch den Wandel von analog zu digital miterleben durfte. Dafür bin ich dankbar, denn so kenne ich die Vor- und Nachteile von beidem.

„Ein guter Mix ist…“
… abwechslungsreich und passend zum Moment. Es gibt nichts Schlimmeres als DJs, die nur ihr Ding machen, ohne auf das Publikum einzugehen. Man muss sich auf jeden Fall treu bleiben und immer hinter dem stehen können, was man spielt. Aber man muss dennoch flexibel sein.

Großraumdisko oder kleiner Club?
SAFE kleiner Club!

Klassiker oder Aktuelles?
Auch hier sehr schwer. Ich liebe so viel „alte“ Musik, aber es gibt aktuell auch so viel gute, neue Musik im elektronischen Bereich. Daher kommt es auch hier auf die Mischung an.

[FN]