Woher kommt die Inflation – und wie können wir sie überwinden?

Inflation 2022: Ursachen & Maßnahmen

Über 10 Prozent – das waren im September 2022 die Inflationsraten in Deutschland, der EU und der Eurozone. Damit war der reale Wertverlust des Geldes so hoch wie schon seit fast 50 Jahren nicht mehr. Auch weltweit sind die Märkte derzeit geprägt von steigenden Preisen, Güterknappheit und düsteren Zukunftsprogosen. Wie sind wir in diese Situation gekommen? Was wird aktuell in verschiedenen Staaten zur Entlastung getan? Und welche Maßnahmen helfen nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig gegen die Inflation? Wir suchen nach Antworten.


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Die verschiedenen Ursachen der aktuellen Inflation

Verschiedene Faktoren haben in die jetzige Krisensituation geführt und bestärken sich mittlerweile gegenseitig. Da wären zunächst einmal die allgemeine Ressourcenknappheit, die pandemiebedingte Störung der Lieferketten und das geringere Angebot aufgrund von steigenden Produktionskosten. Hinzu kommt der Krieg in der Ukraine, der wiederum Massenflucht, Rohstoffengpässe und enorm ansteigende Preise für Energie zur Folge hat. Die Kriegssituation wird schlimmer, die Ressourcen und das Angebot knapper, die Nachfrage höher und das Geld weniger wert. Je vielschichtiger das Problem, desto langwieriger sind die Folgen – und desto komplizierter ist die Lösung.

Deutschlands Maßnahmen sind zu kurzfristig

Deutschland reagierte bis jetzt mit drei großen Entlastungspaketen, jeweils zwischen 30 und 60 Milliarden Euro schwer. Darin enthalten waren beispielsweise die Energiepreispauschale, das 9-Euro-Ticket, ein Tankrabatt und der Heizkostenzuschlag. Mit der Konzertierten Aktion will die Regierung gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden den Einkommensverlusten von Beschäftigten entgegenwirken. Die Maßnahmen hatten zwar einen vorläufigen Stillstand der Inflation zur Folge, jedoch steigt die Inflationsrate seit dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets und der Spritpreisbremse wieder. Es sind also dringend weitere und vor allem nachhaltig wirksame Maßnahmen nötig. Die meisten Steuersenkungen und Direktzahlen kommen allen zu Gute und sind direkt spürbar. Allerdings sind sie sehr kostspielig und werden mit der sprichwörtlichen Gießkanne verteilt. So profitieren auch Menschen von diesen Maßnahmen, die sie eigentlich nicht nötig hätten.

Inflation 2022: Energiepreise, Gas & Heizkosten

Wie gehen europäische Länder mit der Inflation um?

Mit Inflationsraten zwischen 5,5 Prozent (Island) und 25,2 Prozent (Estland) befindet sich die EU-Länder momentan in unterschiedlichen Situationen, die individuelle Maßnahmen erfordern. Allgemein lassen sich jedoch drei verschiedene Herangehensweisen beobachten: Zahlungen an besonders betroffene Gruppen, temporäre Steuersenkungen sowie Preisregulierungen. Die meisten EU-Länder kombinieren aktuelle verschiedene Arten von Maßnahmen. Verschiedene Steuersenkungen und Direktzahlungen setzen die meisten Staaten bereits ein. Frankreich, Rumänien und Estland haben zudem die Strom- und Gaspreise durch Deckelung teilweise eingefroren. Spanien und Portugal entziehen die Preise den freien Marktmechanismen, die für Preiserhöhungen zuständig sind.

Viele Länder setzen zudem auf die Besteuerung sogenannter Übergewinne. Diese entstehen aktuelle zum Beispiel bei Energieunternehmen, die von den hohen Preisen profitieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt für 2022 einen Übergewinn von über 200 Milliarden Euro für weltweit tätige Energieanbieter. Länder wie Spanien, Italien, Rumänien oder Großbritannien schöpfen diesen bereits durch unterschiedliche Maßnahmen ab. Mit dem dritten Entlastungspaket will auch Deutschland sogenannte Zufallsgewinne bei Unternehmen wie Energiekonzernen abschöpfen und umverteilen.

Der Klimaschutz muss mitgedacht werden

Ist Inflationspolitik mit dem Klimaschutz vereinbar? Das muss sie einfach sein. Das 9-Euro-Ticket ist ein Beispiel dafür. Schweden hat die Zuschüsse auf elektrische Fahrzeuge erhöht und Rumänien subventioniert energieeffiziente Lösungen. Italien packt bei der Einsparung an und senkt die maximale Raumkühlung auf 25 Grad. Es bringt nur bedingt und kurzfristig etwas, viel Geld in die Hand zu nehmen. Eine langfristige Lösung setzt einen bewussten Umgang mit Geld und Ressourcen sowie nachhaltiges Inverstieren in Zukunftsperspektiven voraus. Spanien hat den Supermärkten bereits erlaubt, die Anzahl von Konsumgütern pro Verbraucher zu beschränken. Auch die Landwirtschaft ist ein wichtiger Versorgungssektor. Tankrabatte unterstützen lediglich Autofahrer, weshalb Österreich nur Menschen sponsert, die ihr Auto zu Arbeitszwecken benötigen.

Inflation 2022 - Nachhaltige Maßnahmen

Eine gemeinschaftliche Transformation ist notwendig

Langfristig im Bereich der Versorgungsstruktur anzusetzen macht somit mehr Sinn. Wenn jedes Land mit zeitlich beschränkten nationalen Finanzmaßnahmen der Inflation entgegenwirkt, kann die Lage nicht verändert, sondern langfristig nur verschlimmert werden. Gefördert werden müssen Wärmedämmung, elektrische Transportmittel, erneuerbare und kohlenstoffarme Energieerzeugnisse, eine Infrastruktur zur Speicherung von Rohstoffen und strategische, nachhaltige Landwirtschafts- und Rohstoffexploration. Die Zentralbanken müssen ihre Zinssätze niedrig halten, damit den Regierungen mehr Geld für diese langfristige Transformation zur Verfügung steht. Eine völlige Abkopplung der EU von Russland und einen Umstieg auf erneuerbare Energien ist politisch nach wie vor nicht in Sicht. Dafür ist die Abhängigkeit einzelner Staaten zu hoch. Die vorherrschende Geldpolitik führt zu einer Stagflation, also einem niedrigen Wirtschaftswachstum bei hoher Inflation. Der Höhepunkt ist Prognosen zufolge weder hierzulande noch weltweit erreicht.

Die Rolle der EZB

Eine umstrittene Maßnahme ist die Entscheidung der EZB, die ja normalerweise für stabile Preise zuständig ist, von ihrer jahrelangen Nullprozent-Politik beim Leitzins abzuweichen. EU-Länder außerhalb der Eurozone haben teilweise eigene Zentralbanken und demnach eine nationale Zinspolitik. Eine Zinssatzerhöhung bremst die wirtschaftliche Aktivität und erhöht die Anleihen an Banken und Privatpersonen. Die Maßnahme der EZB belastet nun vor allem die Geldbeutel der Einwohner derjenigen Staaten, deren Nationalbanken bereits eigene Maßnahmen zur Zinsregulierung eingeführt haben, wie zum Beispiel Polen. Das zeigt uns, dass eine Inflation von diesem Ausmaß nur gemeinsam und außerdem nicht durch reine Geldpolitik bekämpft werden kann, da sie nicht monetären Ursprungs ist.

Die Inflation legt Fehler im Wirtschaftssystem offen

Die jetzige Inflation ist nur ein weiterer Indikator für den dringenden Transformationsbedarf unseres Wirtschaftssystems, das auf ständigem Wachstum basiert. Klassischer Kapitalismus und eine rigorose Marktwirtschaft führen früher oder später zu einer Geldentwertung. Langfristig sollte deshalb nicht die Inflation an sich, sondern der Ursprung bekämpft werden. Geldpolitik, Preisregelungen und Steuersenkungen sind Überbrückungslösungen und packen das Problem nicht an der Wurzel. Der geopolitische Kontext, die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten durch die Globalisierung und eine tiefe nachhaltige Veränderung der Wirtschaft sind notwendig. Die eigentlichen Probleme sind der übertriebene globale Konsum und das ständige Streben nach Wachstum, das Festhalten an fossilen Energieträgern und das Herunterspielen des Klimawandels. Der Fokus muss ganz eindeutig auf erneuerbaren Energien und vor allen Dingen dem Miteinander in globalen Krisen liegen. Deutschland sollte hierbei als eine führende Industrienation an langfristigen Lösungen arbeiten, die nicht nur kurz unterstützen, sondern auch eine sichere Zukunft ermöglichen. Denn der Mangel an nachhaltigen Lösungen – in Bezug auf das Klima, die Wirtschaft und die soziale Gerechtigkeit – ist ein weltweites Problem, das ein rigoroses Umdenken erfordert.

Text: Anna Wirth | Illustrationen: Dall-E 2