Talkbox: Wie hat sich dein Alltag in der Coronakrise geändert?

Talkbox - Alltag Corona 2020

Die Corona-Pandemie hatte für viele Menschen einschneidende Veränderungen zur Folge. Wie sieht unser Alltag im Jahr 2020 aus – und kann man eventuell auch etwas Positives aus dieser ungewohnten Lage ziehen? Das haben wir vier Menschen aus Heilbronn in unserer Talkbox gefragt.


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Sarah Noemi (27), Heilbronn

Talkbox 1020 - Sarah

„Derzeit lebe ich in Stuttgart und studiere Financial Management im Master an der Universität Hohenheim. Im Februar 2020 begannen gerade meine Semesterferien, als das Virus auch Deutschland erreichte. Auf den ersten Blick schien die pandemiebedingte Krise surreal. In Watte gewickelt wog man sich in Sicherheit, da man ja in einem politisch stabilen, einkommensstarken Land mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem lebe. Als im März das Restaurant, in dem ich neben dem Studium arbeitete, aufgrund von COVID-19 vorübergehend schließen musste, war ich schon etwas besorgt, aber dennoch zuversichtlich, Deutschland kriege das ja bestimmt schnell in den Griff. Als aber der komplette Lockdown angezeigt wurde, alle Aufträge auch bei meinem anderen Nebenjob sowie meine Prüfungen im April abgesagt wurden und samstagabends die Stuttgarter Innenstadt wie ausgestorben schien, wurde der Ernst der Lage klar. Plötzlich wurde mal eben meine Semester- und Studienplanung über den Haufen geworfen und auch monatlich blieb ein gutes Einkommen aus zwei Nebenjobs aus, die man als Student nicht ersetzt bekommt.

Die Veränderung von einem sorgenfreien und finanziell stabilen Lebensstil hin zu einer pandemiebedingten Krise war spürbar. Die sogenannte Überbrückungshilfe für Studenten vom BMBF, die gefühlt schon viel zu spät kam, war mehr Schein als Sein. Formfehler und Willkür seitens des Studierendenwerks bei der Vergabe der Gelder machte den Frust über die Pandemie nur noch größer. Zwar hatte man Lockdown-bedingt nicht mehr ganz so viele Gelegenheiten, Geld auszugeben, dennoch machte sich das ausbleibende Einkommen bemerkbar. So versuchte ich mich dann ausschließlich aufs Studium und die nachzuholenden Prüfungen im Juni und Juli zu konzentrieren, sowie meinen Konsum einzuschränken. Das Sommersemester fand ausschließlich in digitaler Form statt und auch für die nachzuholenden Prüfungen fand unsere Uni gute Lösungen, wodurch sich mein Studium insgesamt nicht signifikant verlängert. Zwar gingen das Semester und die Krisenzeit aufgrund der Kontaktbeschränkungen etwas einsam und ungewohnt über die Bühne, dennoch konnte ich die Zeit vor allem auch dank meiner Eltern relativ gut bewältigen und auch mein Hund bescherte mir wertvolle Zeit in der Natur.

Ich nutzte die vermehrte Zeit auch für einen besseren Fokus auf gesunde Ernährung und nahm, trotz Schließung meines Fitnessstudios über 10 Kilo ab. Ich versuchte, mich gezielt auf die positiven Aspekte im Leben zu konzentrieren und einfach mal dankbar dafür zu sein, dass ich gesund bin und es mir insgesamt gut geht – Stichwort „Mental Health“. Der Alltag war plötzlich entschleunigt und die Zeit schien für einen kurzen Moment stehengeblieben zu sein. Zwar wusste man, dass einen nach dieser Zeit ein sehr viel größerer Druck erwartete, doch schien man das erste Mal für einen Augenblick einfach mal durchatmen zu können. Ich bin dankbar dafür, dass ich langfristig keine schwerwiegenden Folgen davontrage, stattdessen sogar geistig an dieser Krise gewachsen bin. Nun bleibt auf eine sehr viel glimpflicher ablaufende „zweite Welle“ und eine schnelle Genesung der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Lage aller zu hoffen.“


Sandra (42), Heilbronn

Talkbox 1020 - Sandra

„Corona hat einiges bei mir verändert. Vor allem mein Verhalten gegenüber Menschenansammlungen. Das beginnt schon bei Kleinigkeiten, dass ich zum Beispiel in der Schlange an der Kasse auf genügend Abstand achte und sensibel reagiere, wenn jemand das nicht tut und mir „zu nahe“ kommt. Menschenmassen meide ich. Ich kann mir kaum noch vorstellen, wie anders das noch letztes Jahr war. Allgemein hat mir die Situation gezeigt, wie selbstverständlich ich alles genommen habe und wie zerbrechlich meine Welt ist. Meine Familie sehen, Freunde treffen, auf Konzerte gehen oder in den Urlaub fahren – plötzlich alles anders oder nicht mehr möglich… das werde ich in Zukunft alles viel mehr schätzen.

Es gibt aber auch positive Veränderungen. Seit März arbeite ich von zu Hause aus – und das funktioniert sehr gut. Das hat auch mein Arbeitgeber gemerkt, der uns die Möglichkeit offenlässt, zwischen Büro und Homeoffice frei zu wählen. Das tut meiner Work-Life-Balance richtig gut und entspannt meinen Alltag. Und ich habe die Ruhe dieses Jahr dazu genutzt, um einige persönliche „Projekte“ anzugehen, die sich auf Dauer positiv für mich auswirken.“


Tamara (27), Heilbronn

Talkbox 1020 - Tamara

„Die Coronakrise hat sich für mich nicht nur im Negativen geändert. Man hat sich mehr mit sich selbst beschäftigt. Ich selbst bin mehr in der Natur unterwegs, wir sind viel spazieren und wandern gegangen, was ich früher sehr selten gemacht habe. Ich habe meinen Sport, den ich regelmäßig in einem Fitnessstudio betrieben habe, nach Hause ins Wohnzimmer verlagert oder bin in der Natur joggen gegangen. Was ich auch weiterhin so handhaben werde. Man macht mehr Urlaub in der Umgebung, was mit dem Auto schnell erreichbar ist. Dadurch entdeckt man oftmals auch wunderschöne Städte, wo es mich sonst nie hingezogen hätte, da es mir immer wichtig war, die ,,weite Welt´´ zu bereisen und weit weg zu fliegen. 

Ich habe für mich selbst das Kochen mehr entdeckt. Früher bin ich lieber mit Freunden essen gegangen, durch die Pandemie habe ich sie dann lieber zum Essen zu mir daheim eingeladen und habe sie bekocht. Was sich für mich am negativsten geändert hat ist, dass ich nicht mehr ganz so viel persönlichen Kontakt zu meiner Oma habe. Am Anfang der Pandemie hatte ich sie zum Beispiel gar nicht besucht. Man telefoniert zwar ab und zu, aber der persönliche Kontakt fehlt einem einfach so. Auch der Kontakt zu meinen Freunden, meiner Nichte und dem Rest der Familie, was mir schon immer sehr wichtig war. Ich war auch das erste Mal in einer Gärtnerei und habe mir dort mein Obst und Gemüse bestellt.

Was ich auch so weiterführen möchte, da es einfach besser schmeckt und man die kleineren Geschäfte in der Umgebung damit unterstützt. Mein Shopping-Verhalten hat sich auch sehr verändert. Ich gehe mittlerweile nicht mehr so oft shoppen, da ich es mit der Maske auch einfach unangenehm finde. Es ist einem viel zu warm, man bestellt mehr Sachen online, aber überlegt auch mehrmals, bevor man sich etwas bestellt, ob es wirklich notwendig ist oder man es unbedingt haben muss.“


Kim Zoe (24), Heilbronn

Talkbox 1020 - Kim Zoe

„Mein Leben hat sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie, wie das Leben vieler anderer bestimmt, maßgeblich verändert. Ich würde sagen, es hat sich alles etwas entschleunigt – seien es die Einschränkungen was Feiern gehen anbetrifft oder auch arbeitstechnisch. Das hat positive und ebenfalls negative Konsequenzen. Negativ ist natürlich, dass man sich einschränken muss, nicht mehr so viel in Bars und Clubs gehen kann zum Beispiel. Dennoch finde ich es auch positiv, dass wir nun Zeit haben, uns mit uns selbst zu beschäftigen und nicht mehr vom einen zum anderen Termin rennen müssen. Meiner Meinung nach bietet diese Pandemie, auf das Individuum bezogen, viele Möglichkeiten, sich auf sich selbst zu konzentrieren, an sich zu arbeiten oder vielleicht auch mal zu hinterfragen, was genau man wirklich möchte oder wer man überhaupt ist.

Die wohl negativste Erfahrung, die ich abgesehen davon, dass ich mir permanent Sorgen um Angehörige und Freunde, die zur Risikogruppe gehören, mache, ist wohl, dass ich mein Erasmussemester in Italien abbrechen musste. Pünktlich zum Beginn der Pandemie dort, beziehungsweise der Eskalation Ende Februar, kam ich an. Nachdem ich einige Wochen im Lockdown verbracht habe, beschloss ich, nach Hause zurückzukehren. Selbstverständlich habe ich mich, obwohl das damals noch keine Pflicht war, freiwillig in Quarantäne begeben. Das war für einen extrovertierten Menschen wie mich, der gerne ausgeht und viele Freunde hat, anfangs alles andere als einfach, jedoch hat es mich persönlich sehr viel weitergebracht.

Ich habe mich viel mit mir beschäftigt und auch mit dem Thema Leben und Gesellschaft. Leider musste ich feststellen, dass es nicht zuletzt viel um Egoismus geht und die VerschwörungstheoretikerInnen und Menschen, die an Corona-Demos teilnehmen – damit meine ich nicht Menschen, die wirklich darunter leiden, ihre Arbeit verloren zu haben und ordentlich mit Masken, friedlich demonstrieren und nicht das Reichstagsgebäude stürmen – den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Obwohl ich verstehen kann, dass wir Menschen Dinge in Schubladen stecken müssen, um sie zu begreifen, appelliere ich an jeden, der das hier liest, sich auf Fakten und Studien und nicht auf Seiten im Internet oder ominöse Facebook-Seiten zu verlassen.

Ich selbst fühle mich durch die Sicherheitsmaßnahmen nicht eingeschränkt und obwohl ich gerne reise und ausgehe, finde ich, dass die Politik völlig richtig handelt. Manchmal meiner Meinung nach, obwohl mich selbst nicht als Hardliner bezeichnen würde, auch noch zu mild. Der Gedanke daran, dass ich durch diese Maßnahmen meine Mitmenschen schütze, sorgt bei mir auch nicht für Ärger oder Wut, sondern eher für ein gestärktes Zusammenhaltsgefühl. Zudem gibt es Berufe, bei denen man den ganzen Tag mit Maske arbeiten muss, zum Beispiel Ärzte – und von denen beschwert sich ja auch niemand. Die Maßnahmen sind nun ein fester Bestandteil meines Alltags, über die ich gar nicht mehr großartig nachdenke. Ich mache Sport mit Maske, gehe einkaufen mit ihr und ziehe sie auch auf, wenn ich nicht unbedingt müsste. Im Gegenteil, ich würde sagen, mein Verantwortungsbewusstsein und Altruismus-Vermögen haben sich aufgrund der Pandemie deutlich gesteigert.

Irgendwie fühle ich mich auch blöd, diese Frage zu beantworten und mit meinen Luxusproblemen, wie dem abgebrochenen Auslandssemester zu argumentieren. Die wirklich wichtige Frage wäre, wie sich der Alltag der RisikopatientInnen seit Beginn der Pandemie verändert hat. Ich glaube, die Geschichten dieser Menschen zu lesen und zu hören, würde vielen Menschen einen Denkanstoß geben, doch mal darüber nachzudenken, ihr Mindset bezüglich der Maßnahmen zu verändern. Alles in allem ist dieses Thema so komplex, dass ich mehrere Seiten verfassen könnte, aber das würde wohl den Rahmen sprengen. Abschließend möchte ich noch loswerden: Stay safe, stay home.“


[SC]