Der Inbegriff lebhafter Fantasie, liebevoll gemeint

Rachel Ferguson: Die Brontës Gingen Zu Woolworths

„Die Brontës gingen zu Woolworths” von Rachel Ferguson

Deirdre Carne lebt mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern im London der 1930er Jahre und hat ein skurriles Hobby. Die Damen unterhalten sich tagein, tagaus über ihren bunt gemischten Bekanntenkreis aus Pierrots, Privatdetektiven und Society-Mitgliedern. Das wäre nicht allzu ungewöhnlich, wären die Gespräche nicht allesamt ausgedachte Geschichten über reale Menschen, die die Carnes nie persönlich getroffen haben. Doch das exzentrische Spiel wird ernst, als Deirdre einen der Protagonisten des Zeitvertreibes tatsächlich kennenlernt…

Weitere Rezensionen:

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  2. Axel Hacke: Ein Haus für viele Sommer (Rezension)
  3. Romina Casagrande: Feuer auf den Bergen (Rezension)

Wer in der dunklen Jahreszeit nach Eskapismus sucht, sollte hier beginnen. Schließlich ist nichts verlockender für Bücherwürmer, als ein Roman, der bewusst die Grenzen zwischen fiktiver Realität und Fantasie verschwimmen lässt. Rachel Ferguson gibt kein einziges überflüssiges Wort der Erklärung ab, sondern lässt die Leser*innen vollkommen in die Geschichte und deren einzigartige Logik eintauchen. Erzählerin Deirdre wechselt übergangslos von den wild springenden Gedanken einer schlagfertigen jungen Journalistin hinüber in die Familienfiktion und wieder zurück in den tatsächlich stattfindenden Dialog.

Obwohl es am Anfang verwirrend ist und Charaktere wie selbstverständlich durcheinander gewürfelt werden, fühlt man sich doch bald wie ein eingeweihtes Mitglied der Carne-Frauen. Mit dem Kennenlernen des realen Richters Toddington und seiner Frau muss sich die liebenswerte Marotte der Realität stellen. Das wird jedoch ebenso wenig zum Haupthandlungsstrang, wie die Schauspielkarriere der mittleren Schwester Katrine oder die übersinnliche Begegnung der kleinen Sheil. Am Ende des Buches ist eigentlich kaum etwas anders, als zu Beginn. Außer, dass man selbst das Gefühl hat, ein paar fiktive Freunde dazu gewonnen zu haben.

Die britische Journalistin und Schriftstellerin Rachel Ferguson verkaufte 1923 ihren ersten Roman „False Goddesses“. Mit dem 1931 veröffentlichten „The Brontës went to Woolworths” festigte sie ihre Stellung als Autorin. Am 24. Oktober 2023, ganze 92 Jahre später, erschien der Titel als wiederentdeckter Klassiker im Nagel und Kimche Verlag erstmals auf Deutsch.

Text: Dana Wedowski