„Kreativität ist gefragt – das kann die Heilbronner Kultur“

Kultur & Corona - Interview Karin Schüttler (Heilbronn)
Karin Schüttler von der Stadt Heilbronn im Interview

Was macht die monatelange Abstinenz von Kunst- und Kulturangeboten mit einer Gesellschaft? Und wie geht es den hiesigen Kulturschaffenden nach einem Jahr mit erheblichen Einschränkungen? Darüber haben wir mit Karin Schüttler, der Leiterin des Heilbronner Schul-, Kultur- und Sportamts, gesprochen.


Aus dieser Ausgabe:

  1. Interview Heiko Kreiter (Diginights) - 2020
  2. Phonk der Reporter - Magazin (Dezember 2020)

Gibt es im kulturellen Bereich etwas, das Ihnen persönlich auf Grund der Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie derzeit besonders fehlt?
Ich genieße regelmäßig die große Vielfalt der kulturellen Angebote und Veranstaltungen in Heilbronn. Das vermisse ich derzeit schmerzlich. Die kreativen Online-Aktivitäten der Kulturakteure sind sehr zu begrüßen – sie können aber aus meiner Sicht die persönliche Begegnung und das direkte Erlebnis nicht vollständig ersetzen. Als Hobbymusikerin vermisse ich den Probenbetrieb mit meinem Orchester und die Begegnung mit meinen Musikfreundinnen und -freunden.  

Wenn es um die Auswirkungen der Einschränkungen auf die Kulturbranche geht, werden zunächst vor allem die wirtschaftlichen Einbußen gesehen. Aber hat es auch langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft, wenn über einen längeren Zeitraum Museen schließen müssen, Musikveranstaltungen nicht mehr stattfinden können und die Kinos zu haben?
Das kulturelle Angebot hat eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Kultur muss Raum für Offenheit, Mut und Gestaltung bieten – über die Grenzen von Sparten und Trägerschaften hinweg. Kultur ermöglicht den Diskurs, regt an und provoziert und Kultur bietet Reibungsflächen zur Auseinandersetzung. Und Kultur dient insbesondere auch dazu, Menschen zusammenzuführen. Wenn die Kultur ihren Auftrag über längere Zeit nicht erfüllen kann, dann wird das mit Sicherheit Auswirkungen auf die Gesellschaft geben, die wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen können.

Für Kinder und Jugendliche entfallen die Angebote der kulturellen Bildung und sie finden möglicherweise auch keinen Zugang mehr ins Theater, in die Museen oder zur musikalischen Früherziehung. Fehlende Freizeiterlebnisse, regelmäßige Begegnungen, Abwechslung vom Alltag, Inspiration, Wissen – je länger die Schließungen andauern, umso größer wird die Herausforderung, das Publikum wieder zu erreichen. Ich bin dennoch optimistisch, dass es uns gemeinsam gelingen wird, den kulturellen Stellenwert in unserer Stadt zu erhalten. Und es wird hoffentlich bald die Zeit kommen, in der wir wieder, spannende, wertvolle und beeindruckende kulturelle Erlebnisse real und in der persönlichen Begegnung genießen dürfen.

Vermutlich wird das in kleinen Schritten erfolgen. Wir werden gemeinsam andere Formate und neue Formen der kulturellen Angebote entwickeln müssen. Kreativität ist gefragt – das kann die Heilbronner Kultur! Natürlich sind auch wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht unwesentlich. Es muss uns gemeinsam gelingen, dafür zu sorgen, dass Künstler*innen und Kultureinrichtungen die Zeit überstehen und nach Pandemie noch existieren.  

Ein Begriff, der seit Beginn der Corona-Pandemie in aller Munde ist, ist „systemrelevant“. Wie beurteilen Sie diese Einteilung im Hinblick darauf, dass Kunst- und Kulturschaffende dabei in der Regel nicht eingeschlossen sind? Fehlt da die Wertschätzung für diese Menschen und ihren Beitrag zur Gesellschaft?
Was ist systemrelevant? Für diesen Begriff gibt es nach meiner Kenntnis keine klare Definition, die Aufzählungen sind auch nicht abschließend. Ich vertrete die Auffassung, dass Kunst- und Kulturschaffende „gesellschaftlich relevant“ oder „lebensrelevant“ sind. Die Wertschätzung ist in hohem Maß vorhanden. Das wurde in den vergangenen Wochen deutlich zum Ausdruck gebracht. Kunst und Kultur muss sichtbar und erlebbar und „laut“ bleiben. Die übergeordnete Zielsetzung muss sein, dass „die Kultur wieder kann, wenn sie wieder darf“.   

Im Frühjahr sind Menschen, die im Kulturbereich tätig sind, noch relativ pragmatisch mit der neuen Situation umgegangen und haben – oft aus den eigenen vier Wänden heraus – Alternativangebote entwickelt. Wie erleben Sie den Umgang der Heilbronner Kulturszene mit den Einschränkungen heute, gut ein Dreivierteljahr später?
Nach wie vor gilt, dass die Heilbronner Kulturszene großes Verständnis für die Einschränkungen aufbringt. Wir haben in der Kulturverwaltung regelmäßig Kontakt zu den Kulturschaffenden und zur großen Familie von Musik und Gesang in unserer Stadt. Selbstverständlich haben aber auch alle das dringende Bedürfnis, wieder aufzutreten und ihre Programme zu präsentieren, ihren Beruf und ihre Leidenschaft wieder zu leben und zu zeigen. Die zwischenzeitlichen Lockerungen in den Sommermonaten haben einen Motivationsschub gegeben, denn es konnte wenigstens ein Teil der Veranstaltungen durchgeführt werden.

Die erneute Schließung zehrt an den Kräften, an den wirtschaftlichen Möglichkeiten und an der Kreativität. Soweit es möglich ist, nutzen Kunst- und Kulturschaffende die Zeit, sich vorzubereiten, um zum Zeitpunkt der Wiederöffnung auftrittsbereit zu sein. Weitere Online-Aktivitäten helfen ein wenig zur Überbrückung. Die Zeit ist auch für konzeptionelle Arbeit geeignet. Es gibt derzeit keine konkreten Perspektiven. Das zermürbt zunehmend.

Hinter vielen Veranstaltungen im Kunst- und Kulturbereich steht eine monate- oder sogar jahrelange Vorbereitung, die nun natürlich nicht mehr in dem Maße stattfinden kann wie vorher. Werden wir die Auswirkungen davon unter Umständen erst zeitversetzt zu spüren bekommen?
In einigen Sparten muss der Betrieb langfristig geplant werden. Die Dispositionen erfordern großen Vorlauf und so muss entschieden werden, welche Produktionen, Konzerte und Aufführungen nachgeholt werden können oder ob sie komplett ausfallen müssen. Aktuell befindet sich das angestellte Personal der größeren Kulturbetriebe teilweise in Kurzarbeit. Verträge, Ressourcen, Sponsorenvereinbarungen sind zu prüfen. Rückabwicklungen sind ebenso erforderlich, wie das Kontakthalten zu Abonnenten, Unterstützern und Partnern. Als Beispiel der Auswirkungen kann die Verschiebung der Theatertage des Landes Baden-Württemberg in Heilbronn von 2021 auf 2022 benannt werden. Ich vermute, dass es nach einer Wiederöffnung eine längere Zeit dauern wird, das Vertrauen bei den Kulturinteressierten zu schaffen, wieder unbeschwert an den Kulturveranstaltungen teilnehmen zu können.

Wie blickt die Kunst- und Kulturschaffenden in Heilbronn in die Zukunft? Überwiegt eher die Hoffnung darauf, dass bald wieder Normalität einkehrt oder hat die Pandemie auch aufgezeigt, dass sich bestimmte Dinge in der Kulturbranche grundsätzlich ändern müssen?
Sowohl, als auch. Bei uns kommt ganz überwiegend die große Hoffnung der Kunst- und Kulturschaffenden an, dass zumindest kleinere Veranstaltungen wie im Sommer bald wieder möglich sein werden und dass schrittweise ein wenig Normalität zurückkehrt. Es ist jedoch allen bewusst, dass auch im Jahr 2021 Veranstaltungen mit großen Besucherzahlen oder gar Großveranstaltungen noch sehr unwahrscheinlich sind. Die Akteure zeigen sich sehr nachdenklich und gehen davon aus, dass nicht alles so weitergehen kann, wie vor der Pandemie. Vertrauen wieder zu schaffen, wird länger dauern, als nach der ersten Schließung im Frühjahr. Neue Formate müssen entwickelt und ausprobiert werden, neue Veranstaltungsstätten entdeckt werden.

Ein erster gelungener Ansatz war die im Sommer von der Stadt Heilbronn initiierte und über drei Monate durchgeführte Reihe „Heilbronn ist Kult“. Kleiner, genreübergreifend, kooperativ – das biete auch die Chance für ein neues Miteinander der Kulturschaffenden. Die Digitalisierung wurde im Kulturbereich in den vergangenen Monaten schneller vorangetrieben wie es vielleicht geplant war. Dies gilt sowohl für die Kulturvermittlung, als auch für die Einführung von technischen Unterstützungsmöglichkeiten, wie beispielsweise Ticketing-Systemen. Sie wird auch künftig eine bedeutende Rolle spielen, jedoch als Ergänzung und nicht als Ersatz für kulturelle Erlebnisse in den Veranstaltungsstätten vor Ort. Wir von der Stadt Heilbronn sind überzeugt vom Stellenwert der Kultur in unserer Stadt. Deshalb bitten wir alle Kunst- und Kulturschaffende um gutes Durchhalten. Wir wollen weiterhin ein verlässlicher Partner sein.

[FD]