Wer bin ich – jenseits von Herkunft und Heimat?

Cansu Çak - Kolumne zu Herkunft & Heimat

In ihrer aktuellen Kolumne plädiert Cansu für mehr Menschlichkeit

In den letzten Jahren habe ich bemerkt, dass die Reaktionen auf meinen Namen sich verändert haben. Die Menschen fragen nicht mehr direkt, woher ich komme. In meiner Art zu sprechen ist deutlich, dass ich von hier bin. Stattdessen fragen sie, woher mein Name stammt, wo meine Wurzeln liegen oder woher meine Familie kommt. Optisch falle ich nicht ganz aus dem Rahmen, aber mein Name tut es. Während man bei meinen Großeltern schon auf den ersten Blick erkennen konnte, dass sie Fremde sind und Schwierigkeiten mit der Sprache hatten, ist es bei mir nur der Name, der irritiert. Das verwirrt mich selbst.

War es nicht immer meine Heimat?

Ein Identitätskonflikt lebt in mir und ich begann, ein Buch zu schreiben, um ihn zu verarbeiten. Doch weder das Buch noch der Konflikt sind abgeschlossen. So irre ich also zwischen den Welten. Ich möchte an meinen „Wurzeln“ festhalten, aber auch im Hier und Jetzt ankommen. Ich will weder meine Großeltern und meine Herkunft noch meine neue Heimat verraten. Aber wie sehr ist es die neue Heimat, wenn ich hier geboren bin? War es nicht immer meine Heimat? Genau genommen bin ich ja nicht hierhergekommen, sondern hier geboren.

Womit könnte ich mich identifizieren? Ich würde mich weder als Ausländerin noch als Deutsche bezeichnen. Vielleicht könnte „Migra“ das Wort sein, das mich in Zukunft beschreibt. Und schon habe ich mich selbst in eine Schublade gepackt und gehe durch die Straßen, kategorisiere andere genauso wie mich selbst. Könnte es auch ohne Schubladen gehen? Können wir nicht einfach Menschen sein? Bin ich nur ein Mensch, oder brauche ich etwas, mit dem ich mich verbunden fühlen kann? Ist es das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und die Angst vor dem Fremden, das der absoluten Toleranz im Weg steht? Oder hat die Toleranz das Potenzial, Zugehörigkeit zu stärken, sodass ich das Gefühl verliere, weder das eine noch das andere zu verraten?

Text: Cansu Çak

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