„In Sachen Alltagsrassismus sollte es mehr Aufklärung geben.“

Interview - Rassismus & Rechtsextremismus Polizei (1)

Eine Anwärterin spricht über Rassismus und Rechtsextremismus bei der Polizei

Chatgruppen, in denen rechtsextreme Inhalte geteilt werden, dazu immer häufigere Fälle von Rassismus, die nicht nur gemeldet werden, sondern auch gut dokumentiert sind. Nach erschütternden Ereignissen in den USA wie dem Tod von George Floyd steht mittlerweile auch die deutsche Polizei vermehrt in der Kritik. Alexandra ist Anfang 20 und derzeit Polizeianwärterin in Baden-Württemberg. Wie reagiert eine junge Frau, die selbst eine Laufbahn als Polizeibeamtin anstrebt, auf diese Probleme? Wie erlebt sie selbst den Alltag in Uniform – und kann sie auch nachvollziehen, dass manche Bürger*innen Vorbehalte gegenüber der Polizei haben? Darüber haben wir mit Alexandra gesprochen.

* Der Name der Protagonistin wurde von der Redaktion geändert. Ihr echter Name sowie Details zu ihrer derzeitigen Ausbildung bei der Polizei sind der Redaktion bekannt.


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Was für ein Bild hattest du von der Polizei, bevor du selbst dort angefangen hast? Haben Themen wie Rassismus und Vorurteile da auch schon eine Rolle für dich gespielt?
Überhaupt nicht. Ich hatte eigentlich weder Rassismus noch so etwas wie Polizeigewalt auf dem Schirm. Ich bin zur Polizei gegangen, weil mich Dinge wie Verbrechen interessieren und ich etwas zur Aufklärung beitragen wollte. Anstatt stumpf im Büro zu sitzen, wollte ich lieber etwas für die Gesellschaft tun. Dass es bei der Polizei ein Problem mit Rassismus geben könnte, daran habe ich ehrlich gesagt keinen Gedanken verschwendet damals.

Hat sich das in den letzten Monaten gewandelt, nachdem einige Fälle durch die Medien gegangen sind?
Klar, man beschäftigt sich viel mit dem Thema. Gerade wenn man jetzt selbst Teil der Behörde ist. Und wenn du draußen auf der Straße bist, kriegst du das auch knallhart mit, wie die Bürger*innen da eingestellt sind. Also dass es nicht nur Vorurteile gegenüber den Bürger*innen gibt, sondern eben auch andersrum. Und da wird einem das auch richtig bewusst, dass es da ein Problem gibt.

„Ich hatte eigentlich weder Rassismus noch so etwas wie Polizeigewalt auf dem Schirm.“

Bist du während deiner Zeit bei der Polizei schon mal Situationen mit Kolleg*innen gekommen, die irgendwie in die Richtung von Rassismus gingen?
Habe ich jetzt nie so wirklich wahrgenommen. Ich habe in meiner praktischen Phase jetzt auch noch nicht so viele Dienststellen gesehen. Bisher war ich auf einem relativ ruhigen Revier, so eine Mischung aus Stadt und ländlich. Und bei einem Kriminalkommissariat in der Stadt. Aber bis jetzt gab es keine Situation, in der ich sagen musste: „Hey Leute, das ist jetzt nicht korrekt, was ihr hier sagt oder macht“.

Wie hast du die Entwicklungen um rechte Chatgruppen, rassistische Äußerungen oder auch Fälle wie den des NSU 2.0 in den letzten Monaten wahrgenommen?
Ich finde das erschreckend. Während meiner praktischen Phase kam das ja auch auf, mit den Chatgruppen in Baden-Württemberg bei Polizeischülern. Da war ich wirklich schockiert, auch weil ich bisher nie etwas in diese Richtung erlebt habe. In Sachsen gab es ja auch einen Anwärter, der aufgehört hat, weil sogar die Ausbilder*innen sich in diese Richtung geäußert haben. Wenn ich sowas in den Nachrichten höre, bin ich immer ziemlich perplex, weil ich gar nicht so ein Bild von der Polizei habe. Natürlich bin ich froh, dass ich da in so einem guten Umfeld bin. Aber ich finde es krass, dass sich das scheinbar auch so stark unterscheidet.

Was machst du dir für Gedanken, wenn du von solchen Fällen hörst?
Ich finde es seltsam, dass irgendwie so viel jetzt auf einmal auftaucht. Da frage ich mich, ob es eigentlich in den Jahren davor auch schon mal solche Fälle gab.

Wahrscheinlich hat das auch damit zu tun, dass jetzt ein stärkerer Fokus auf das Problem rückt, oder?
Ja. Ich glaube aber auch, dass sich dadurch manche Kolleg*innen jetzt eher trauen, mal etwas zu sagen. Weil sie merken, dass die Öffentlichkeit das wissen will – was ich auch verstehen kann. Die Zeiten ändern sich eben. Andererseits gibt es immer noch diese internen Bewertungssysteme bei der Polizei, die über Dinge wie Beförderungen entscheiden. Du weißt vielleicht nicht, wie dein Vorgesetzter zu diesem Thema steht. Deshalb schätze ich es so ein, dass es möglicherweise trotzdem schwierig für manche Kolleg*innen ist, da den Mund aufzumachen.

„Was ist zum Beispiel, wenn solche Äußerungen direkt von deinem Chef kommen?“

Also können Polizist*innen nicht sicher sein, ob sie nicht irgendwelche Repressalien zu befürchten haben, wenn sie innerhalb der Behörde Fälle von Rassismus oder rechtsextreme Tendenzen melden?
Ja, dieses Bewertungssystem ist auch generell etwas, das mich nervt. Da geht es eher darum, wer an der Reihe ist, statt darum, wer gute Arbeit leistet. Von daher kann ich es auch irgendwo verstehen, wenn sich Kolleg*innen mit diesem System arrangieren wollen.

Gab es trotzdem auch entsprechende Ansagen von euren Vorgesetzten, wie ihr damit umgehen sollt, wenn ihr solche Sachen mitbekommt?
Ja, unsere Dozent*innen am Ausbildungsstandort haben auch klar an uns appelliert, dass wir so etwas melden sollen. Gerade wenn es um Chatgruppen geht. Weil du natürlich immer behaupten kannst: „Ja, ich war in so einer rechten Chatgruppe – aber ich habe ja nicht die Bilder rumgeschickt.“ Aber dadurch, dass du nichts tust, duldest du das ja auch irgendwo.

Wie bewertest du die Voraussetzungen und das Klima innerhalb der Polizei, um Fälle von Rechtsextremismus oder Rassismus zu melden?
Eigentlich habe ich das bei der Polizei so kennengelernt, dass man mit den Kolleg*innen über alles sprechen kann. Und eben auch ganz offen ansprechen kann, wenn einen etwas stört. Aber man weiß natürlich nie. Was ist zum Beispiel, wenn solche Äußerungen direkt von deinem Chef kommen? Deshalb finde ich die Idee gut, anonyme Meldesysteme einzuführen. Dann hast du die Möglichkeit, bei entsprechenden Fällen den Mund aufzumachen und dich trotzdem noch selbst zu schützen.

Interview - Rassismus & Rechtsextremismus Polizei (2)
Polizeibeamt*innen im Dienst (Symbolbild). Foto: Mike Powell / Unsplash

Es gibt ja im Prinzip zwei verschiedene Themen innerhalb der Polizei, die gerade diskutiert werden – Rechtsextremismus und Rassismus. Wo siehst du aktuell das größere Problem?
In Sachen Alltagsrassismus sollte es auf jeden Fall mehr Aufklärung geben. Im Fall von Rechtsextremismus ist die Sache ja relativ klar, dass es dafür keine Toleranz gibt. Aber was Rassismus angeht, ist es ein bisschen schwieriger. Da gibt es Kolleg*innen, die aus einer anderen Generation kommen, aus einer anderen Umgebung. Bei denen kann es vorkommen, dass sie in manchen Fällen gar nicht wissen, dass bestimmte Worte rassistisch sind. Deshalb muss man gerade in alltäglichen Situationen darüber sprechen und die Leute dafür sensibilisieren. Aber sowohl bei Rechtsextremismus als auch bei Rassismus gilt für mich, dass wir ja alle einen Schwur geleistet haben und beides nicht damit vereinbar ist. Das fängt auch schon bei scheinbaren Kleinigkeiten im Alltag an.

Also würdest du Kolleg*innen auch darauf ansprechen?
Ich denke schon. Man muss auch bedenken: Bei manchen ist es schon 10, 20 Jahre her, dass sie diesen Schwur geleistet haben. Deshalb ist es auch gut, sie noch mal daran zu erinnern, wenn sie schon so in ihrer Routine drin sind. Gerade wir Anwärter*innen waren ja vor ein paar Monaten noch Zivilist*innen, von daher bringen wir vielleicht noch ein bisschen diese frische Perspektive rein.

„Ich glaube, momentan haben viele das Bild, dass die Mehrheit der Polizist*innen rassistisch ist.“

Ein Thema, das ja in Bezug auf Rassismus auch in letzter Zeit häufiger aufkommt, ist Racial Profiling. Gerät das bei euch jetzt intern auch verstärkt in den Fokus?
Ich muss sagen, dass ich Racial Profiling in meinem Dienst so noch nicht mitbekommen haben. Aber dieses Thema wird auch in unserer Ausbildung behandelt, im Fach Psychologie. Dadurch finde ich auch, dass die Polizei in dem Fall schon etwas gegen mögliche Probleme tut. Es wird nicht gesagt, dass es sowas nicht bei uns gibt. Und die Schüler*innen werden dafür sensibilisiert.

Wie siehst du die Diskussion um eine Rassismusstudie innerhalb der Polizei? Würdest du so etwas befürworten?
Ich fände das gut. Ich glaube, momentan haben viele das Bild, dass die Mehrheit der Polizist*innen rassistisch ist. Und ich glaube, dass so eine Studie deshalb nur positiv für die Polizei ausfallen könnte. Dann hättest du nämlich das Ergebnis, dass sehr wahrscheinlich nur ein Bruchteil rassistische Tendenzen hat und der absolute Großteil nicht rassistisch ist. Und selbst wenn es einen kleinen Teil gibt, der rassistisch eingestellt ist, hätte die Polizei auch eine Art Ziel, weil sie sieht: Okay, es gibt Rassismus bei uns. Dann kann sie speziell darauf gerichtet Maßnahmen treffen, um gegenzusteuern.

Inzwischen soll es so eine Studie geben, allerdings hat die Polizeigewerkschaft GdP wohl eigene Vorschläge durchbekommen: So soll nun Alltagsrassismus in allen Bereichen der Gesellschaft untersucht werden. Findest du das sinnvoll?
Ja. Das klärt vielleicht auch Leute außerhalb der Polizei auf, die sich für überhaupt nicht rassistisch halten. Deswegen finde ich allgemeine Aufklärung in die Richtung schon sinnvoll.

Aber wird das spezielle Problem bei der Polizei dadurch nicht ein bisschen in den Hintergrund gerückt?
Ich weiß nicht, ob man das nicht trennen müsste. Man kann ja beides machen, damit die Polizei wie gesagt weiß, wo sie ansetzen muss. Aber wir Polizist*innen sind ja auch ein Teil der allgemeinen Gesellschaft.

„Der Alltag von Polizeibeamt*innen darf nicht als Erklärung herhalten.“

Für die Polizei sollten aber höhe Standards als für die Zivilgesellschaft gelten.
Auf jeden Fall. Wir tragen in unserem Beruf sehr viel Verantwortung. Gerade weil man den Staat repräsentiert und unter anderem auch das Gewaltmonopol hat. Man trägt Waffen, hat verschiedene Eingriffsrechte, durch die wir entsprechende Maßnahmen treffen können. Das kann man natürlich nicht mit Normalbürger*innen vergleichen.

In der angekündigten Studie sollen Fälle von Rassismus und Rechtsextremismus vor dem Hintergrund des Polizeialltags gesehen werden. Entschuldigt sowas nicht das Problem auf unzulässige Weise?
Der Berufsalltag rechtfertigt sowas natürlich nicht. Klar, verändert einen das mit der Zeit. Aber der Alltag von Polizeibeamt*innen, der sich von Dienststelle zu Dienststelle unterscheidet, darf hierfür nicht als Erklärung herhalten.

Gibt es etwas, dass du Menschen mitteilen möchtest, die von den jüngsten Fällen gehört haben und beunruhigt sind?
Es tauchen jetzt viele Fälle auf und ich kann verstehen, dass die Bürger*innen da auch verunsichert sind. Aber man sollte sich bewusst machen, dass das nur ein kleiner Teil ist. Und mir ist auch wichtig zu sagen, dass man schon auch etwas sagen kann, wenn man sich von der Polizei schlecht behandelt fühlt. Vielleicht haben wir gerade einen schlechten Tag oder eine stressige Schicht. Da darf man sich ruhig trauen, die Kolleg*innen höflich darauf anzusprechen. Wir sind ja am Ende des Tages auch nur Menschen.

[FD]