Die Reise ins Ungewisse

Cansu Cak & Azize Nimani
Cansu Cak und Azize Nimani beim Boxtraining im Olympiastützpunkt Heidelberg

Ein Kommentar von Cansu Çak

„Es ist Spätsommer, als die bewaffneten Männer bei uns im Hof einmarschieren, meine Mama und Schwester schlagen, uns bedrohen und uns große Angst einjagen. Ich muss mit meinen Geschwistern in einer Reihe stehen und die Männer verwüsten unser Haus. Wir werden beschimpft. Wir sollen geradestehen und still sein. Mein Papa ist nicht da. Wir sind auf uns alleine gestellt.“
Azize, 7 Jahre
„Es ist dunkel. Vor unserer Tür stehen zwei Autos. Wir fahren los ins Ungewisse. Viel von der Strecke laufen wir. Meine Füße tun weh und ich trage meine kleine Schwester an meiner Hand. Sie dürfen uns nicht finden. Meine Schuhe haben schon Löcher und in der Nacht wird es kalt. Wir alle hungern und dursten. Wir haben kaum noch Kraft, aber nicht mehr lange… bald sind wir alle bei Papa.“
Azize, 7 Jahre
„Wir sind nur ‚Flüchtlinge‘. Wir leben abgeschottet. Wir lernen die Sprache. Ich vermisse mein Zuhause, ich vermisse meine Freunde. Hier ist es so anders und niemand versteht mich.“
Azize, 8 Jahre
„Der letzte Gong läutet. Der Kampf ist vorbei. Ich stehe im Ring. Ich laufe in die Ecke zu meinen Trainern. Sie helfen mir, die Handschuhe und den Kopfschutz auszuziehen. Ich gehe zurück zum Ringrichter. Der Ringrichter nimmt meinen Arm. Auf seiner anderen Seite steht meine Gegnerin. ‚And the winner is the red corner‘, mein Arm geht hoch. Ich habe es geschafft. Ich bin im Halbfinale der European Games. Ich habe eine Medaille sicher. Auf meinem Trikot der deutsche Bundesadler, auf meinem Arm ein Tattoo des Landes, aus dem ich geflohen bin. In meinen Augen Dankbarkeit für all die Möglichkeiten, die mir dieses wunderbare Land ermöglicht, in meinem Fokus die Motivation, etwas zurückzugeben und in meinem Herz die Trauer für all das, was ich zurücklassen musste.“
Azize, 25 Jahre

40 Millionen.

Das ist die Anzahl von Kindern, die aus ihrer Heimat flüchten oder vertrieben werden.

450 Millionen.

Das ist die Anzahl von Kindern, die weltweit in einem Krieg oder in einem Konfliktgebiet leben.

Kein Kind kann was für die Verhältnisse, in die es reingeboren wird. In Sicherheit geboren zu werden bedeutet nicht Glück oder Privileg. In Sicherheit geboren zu werden bedeutet Verantwortung. Wir haben die Aufgabe, Verantwortung für Kinder in Not zu übernehmen, sie auf der Straße nicht für ihre Herkunft zu verurteilen und ihnen unsere Türen und Tore für Bildung zu öffnen. Jede Person nach den eigenen Möglichkeiten. Und das ausnahmslos.

Text: Cansu Çak