„Unsere Studierenden kommen zu uns, weil sie etwas verändern wollen“

Umwelt- & Prozessingenieurwesen - Hochschule Heilbronn (Interview)

An der Hochschule Heilbronn wird Prozesstechnik nachhaltig gedacht

Vor zwei Jahren hat die Hochschule Heilbronn den Studiengang für Prozessingenieurwesen mit einem neuen Fokus ausgestattet. In der Fachrichtung Umwelt- und Prozessingenieurwesen geht es seitdem nicht nur um die Entwicklung, Planung und Optimierung industrieller Umwandlungsprozesse, sondern auch um einen konsequenten Schutz der Umwelt. Möglichst wenig Ressourcen entnehmen und dabei gleichzeitig möglichst wenig Schadstoffe verursachen – das ist unerlässlich für den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Wir haben mit Professorin Katja Mannschreck und Chemielaborantin Monika Zellner über die Neuausrichtung des Studiengangs und das aktuelle Projekt eines Klimawalds am Campus gesprochen.


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Was für Voraussetzungen sollten Menschen für ein Studium in Umwelt- und Prozessingenieurwesen an der HHN mitbringen?
Katja Mannschreck: Ein Interesse für Technik auf alle Fälle und eine Hochschulreife müssen vorhanden sein, sonst gibt es eigentlich keine Einschränkungen. Selbst diejenigen, die mit Mathe oder Chemie in der Schule nicht so ganz zufrieden waren kommen bei uns zurecht. Wir fangen hier noch mal sehr grundlegend an, weil das Niveau der Studierenden im ersten Semester natürlich sehr unterschiedlich ist.

Wie kann man sich die Inhalte des Grundstudiums vorstellen?
Mannschreck: Wir haben ein ganz klassisches Ingenieursgrundstudium mit beispielsweise Mathe, Physik und Konstruktion. Gerade zu Beginn des Studiums fehlen natürlich auch die Grundlagen, um zum Beispiel einen Reaktor neu auszulegen oder eine Pumpe neu zu gestalten. Wir greifen aber auch gesellschaftliche Themen auf und versachlichen das Thema Nachhaltigkeit. Bei der Neukonzeption haben wir darauf geachtet, dass das Umweltprofil in jedem Semester eine Rolle spielt – auch, um die Motivation immer hochzuhalten. Denn die Leute kommen aus einem bestimmten Grund zu uns, die wollen etwas verändern. Sie wollen mithelfen, die Transformation voranzubringen.

Katja Mannschreck - Hochschule Heilbronn
Katja Mannschreck, Professorin für die Fachgebiete Physikalische Chemie und Instrumentelle Analytik

Ab dem 3. Semester können Studierende Wahlfächer wählen. Welche verschiedenen Möglichkeiten gibt es da?
Mannschreck: Es gibt einen bestimmten Anteil an Umweltthemen, der vorgeschrieben ist. Wieviel Umwelt die Studierenden später dazu wählen oder ob sie eher in die rein verfahrenstechnische Richtung gehen, können sie selbst entscheiden.

Wenn sich jemand für die rein technische Richtung entscheidet, spielt die Umwelt dann gar keine Rolle mehr?
Mannschreck: Durch den verpflichtenden Fokus im Curriculum wissen alle Studierenden, wie sie zum Beispiel einen technischen Prozess hinsichtlich möglicher Umweltprobleme bewerten. Deshalb spielt dieser Hintergrund auch bei Vertiefungsthemen wie Energieverfahrenstechnik, Recycling oder Prozesssimulation eine Rolle.
Zellner: In unserer Studien- und Prüfungsordnung ist auch geregelt, dass in jedem Semester ein gewisser Anteil an Nachhaltigkeitsthemen fest verankert ist.

Gibt es noch andere Aspekte, die den Umweltschwerpunkt ausmachen?    
Mannschreck: Bei den Umweltthemen gibt es zum Beispiel das sehr komplexe Thema Ökobilanz. Oder auch Wasserstofftechnologie, Recycling, Brennstoffzellentechnik – alles mit einem Fokus auf nachhaltige Entwicklung. Wir haben aber auch Schwerpunkte in Richtung Maschinenbau, Simulationstechnik und chemische Verfahrenstechnik sowie Betriebswirtschaftslehre, Kostenrechnung oder Teamführung. Hier kann man sich also sehr frei sein ganz persönliches Programm zusammenstellen.

Der allgemeine Studienschwerpunkt auf die Umwelt ist aber wahrscheinlich auch bei einem eher technischen Profil immer noch ein Vorteil bei der Jobwahl, oder?
Zellner: Was die Berufsaussichten angeht, muss man sich als Verfahrenstechniker*in wirklich nie Sorgen machen. Wir haben allein durch die Firmen, die uns aktiv anschreiben, mehr Angebote als Studierende.

Mit welchen Unternehmen arbeitet die Hochschule Heilbronn hier aktiv zusammen?
Zellner: In Heilbronn selbst sind das zum Beispiel Münzing und Brüggemann, außerdem die Filtration Group aus Öhringen, Dürr aus Bietigheim oder Junker-Filter aus Sinsheim.
Mannschreck: Aber auch beispielsweise Audi, Daimler und Bosch und die Zulieferer – wirklich alle verarbeitenden Industrien sind potenzielle Arbeitgeber. Es gibt also eine große Auswahl an interessanten Jobs, auch hier in der Region.
Zellner: Landkreise wollen ebenfalls immer häufiger Ökobilanzen von ihren Prozessen erstellen. Das ist tatsächlich eine Nische, die immer größer wird, in der es noch kaum Expertise gibt. Auch hier bekommen wir jetzt häufig Stellenangebote.

Monika Zellner - Hochschule Heilbronn
Monika Zellner, Assistenz im Labor Instrumentelle Analytik & Studiengangassistenz

Also gibt es gar nicht das eine typische Berufsbild, auf das der Studiengang abzielt?
Zellner: Das ist tatsächlich schwierig einzugrenzen. Es kann sein, dass jemand später beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt den Düsenantrieb einer Rakete konstruiert oder Pumpen für Wasserbäder in der Autolackierindustrie entwirft. Oder man gestaltet Verfahren in der Lebensmittelindustrie, zum Beispiel bei Landliebe. Jemand anderes arbeitet vielleicht für städtische Betriebe in der Klärtechnik oder in der Wasseraufbereitung. Die Möglichkeiten sind also sehr vielfältig. Unsere Studierenden absolvieren deshalb ein Praxissemester und schreiben ihre Bachelorarbeit auch in einem Unternehmen. Dadurch haben sie hier schon zweimal die Gelegenheit, sich ein wenig zu orientieren.
Mannschreck: Unsere Professorinnen und Professoren kommen auch alle aus Unternehmen, das ist sogar eine Einstellungsvoraussetzung. Dadurch können wir auch immer direkt praktische Anwendungsbeispiele für die Theorie präsentieren.

Im Profil des Studiengangs wird sowohl die Dringlichkeit des Klimawandels betont als auch das Bedürfnis, das Politik und Wirtschaft für nachhaltige Lösungen sehen. Spielt dieser Hintergrund auch eine Rolle im Studium selbst?
Mannschreck: Ja, das ist zum Beispiel in unserem ersten Semester ein ganz großes Thema. Viele haben diese Punkte ja schon in der Schule mitbekommen, im Alltag sowieso. Deshalb sprechen wir mit ihnen ganz versachlicht über Nachhaltigkeit, auch über Aspekte wie Greenwashing. Und wir reden über Umweltpolitik: Wer sind die Akteure, wer gibt die Richtlinien vor, welche politischen Instrumente gibt es, um nachhaltige Entwicklungen umzusetzen? Wir greifen also auf, was Studierende im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen. Die Benzinpreise waren da zum Beispiel auch ein Thema, dass unsere Studierenden verstehen, wie die überhaupt zusammenkommen. Es soll also nicht abstrakt sein, sondern mit einem aktuellen Bezug.

Beeinflussen aktuelle Tendenzen in Industrie oder Politik auch die Studieninhalte – beispielsweise die Frage, ob Autos in Zukunft eher mit Elektromotoren oder grünem Wasserstoff fahren?
Mannschreck: Da sind wir ganz offen. Wir haben aber Professoren*innen aus ganz verschiedenen Bereichen – zum Beispiel auch jemanden, der ganz konkret zu Wasserstoff in der Automobilindustrie forscht. Wir bilden also nicht in eine bestimmte Richtung aus, sondern sind sehr technologieoffen. Die Politik entscheidet, auf welches Pferd sie setzt und Ingenieur*innen müssen in der Lage sein, diese Entscheidungen technisch umzusetzen.
Zellner: Die Unternehmen haben hier auch oft schon eine Ahnung, in welche Richtung sie in Zukunft gehen werden, während die Politik sich noch gar nicht festgelegt hat.

Orientiert man sich dann im Studiengang an solchen Richtungsentscheidungen?
Mannschreck: Das würden wir wahrscheinlich schon machen, wenn unser Fachbeirat so ein Thema an uns heranträgt. Da sind für uns wichtige Firmen vertreten und wenn die uns sagen, dass sie Ingenieur*innen brauchen, die eine bestimmte Technologie kennen, nehmen wir so etwas in die Gestaltung unseres Studiengangs mit auf.
Zellner: Was natürlich nicht heißt, dass wir für einen bestimmten Industriepartner ausbilden. Zur Technologieoffenheit gehört auch, dass man sich nicht von bestimmten Firmen abhängig macht.

Ein ganz aktuelles Projekt im Studiengang an der Hochschule Heilbronn ist die Konzeption eines Klimawalds. Was macht einen Wald eigentlich zum Klimawald?
Mannschreck: Jeder Wald ist ein Klimawald. (lacht) Der Begriff wird deshalb gewählt, weil es um Wälder im städtischen Gebiet geht, mit denen man eine Klimaanpassungsmaßnahme ergreift. Man möchte dadurch das städtische Leben erträglich machen, wenn die Temperaturen im Sommer sehr hoch werden. Man weiß, dass ein Wald beschattet und auch den Feuchtigkeitshaushalt reguliert. Deshalb möchten wir testen, ob eine Ansammlung von Bäumen in der Stadt die Aufenthaltsqualität erhöht.
Zellner: In diesem Kontext ist mit „Klima“ deshalb auch nicht der Klimawandel, sondern das Aufenthaltsklima beziehungsweise das städtische Klima gemeint.

Wo findet man diese Klimawälder in Heilbronn?
Mannschreck: Es gibt aktuell zwei Stück, einen auf der Theresienwiese und einen auf dem Wollhausplatz. Das sind zwei eher kleine Ansammlungen im städtischen Gebiet. Und hier bei uns auf dem Campus in Sontheim errichten wir nun seit Mitte April 2023 einen Klimawald auf einer etwas größeren Fläche. Dafür wird ein Teil des Parkplatzes abgetragen und eine Wiesenfläche genutzt, um ungefähr 400 Bäume zu pflanzen.

Hochschule Heilbronn: Spatenstich Klimawald (Peter Wohlleben)
Spatenstich des HHN-Klimawalds mit Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben

Welche Aufgabe übernehmen die Studierenden aus der Umwelt- und Prozesstechnik bei diesem Projekt?
Mannschreck: Wir hatten die Idee, auf dem ganzen Campus ein Messnetz zu installieren, um zu zeigen, ob ein Wald die Aufenthaltsqualität und die Luftqualität verbessert. Im Rahmen einer Projektwoche haben wir einen Ideenwettbewerb gestartet, bei dem unsere Studierenden in Teams Messkonzepte erstellen mussten. So wollen wir herausfinden, durch welche Parameter man die Luft- und Aufenthaltsqualität überhaupt messen kann. Aktuell bauen wir in Zusammenarbeit mit einem Institut der Uni Stuttgart schon die Sensoren dafür.

Was versteht genau versteht man eigentlich unter der Aufenthaltsqualität?
Mannschreck: Im Prinzip die Antwort auf die Frage „Wie wohl fühle ich mich?“ Und da muss man sich erst mal überlegen, wie man das messen kann. Dafür gibt es natürlich kein Messgerät, das stellt man für sich selbst über die vielen körpereigenen Sensoren auf der Haut fest. Das wollen wir objektivieren, dafür brauchen wir Werte wie Temperatur, Feuchtigkeit und Strahlung. Es gibt aber anderseits auch Faktoren wie die grüne Farbe der Natur, den Schatten der Blätter oder einen angenehmen Windhauch. Und um so etwas auszuwerten, brauchen wir anderweitige Messmethoden. Da gab es sehr interessante Ideen, zum Beispiel eine App, die man über QR-Codes an verschiedenen Orten auf dem Campus öffnet. Hier gibt man also an, wie man sich gerade ganz persönlich im Waldstück, im Innenhof oder auf dem Parkplatz fühlt. So können wir später statistische Aussagen über die Aufenthaltsqualität treffen.

Hochschule Heilbronn: Klimawald - Sensoren (1)
Sensoren zur Untersuchung…
Hochschule Heilbronn: Klimawald - Sensoren (2)
… des Klimawalds am Campus Sontheim

Lässt sich schon sagen, wann hier mit ersten Ergebnissen dieser Untersuchung zu rechnen ist?
Mannschreck: In ungefähr einem Jahr. Wir hoffen, dass wir im Sommer die ersten beiden Stationen installieren können, der Rest soll möglichst bald folgen. Und dann muss natürlich noch der komplette Wald entstehen. So wollen wir unsere Studierenden in einer Art Reallabor an Messtechnik, Sensortechnik und Datenauswertung in der Klimapolitik heranführen. Anschließend geht es auch noch um die Öffentlichkeitsarbeit, also anderen Menschen die Ergebnisse näherzubringen.

Lassen sich diese Ergebnisse dann auch auf Bereiche außerhalb des Campus anwenden, zum Beispiel auf Innenstädte?
Mannschreck: Die Aussagen können wir dann auf jeden Fall verallgemeinern, ja. Oliver Toellner, der Leiter des Grünflächenamts, war zum Beispiel schon vor Ort und hat großes Interesse an unserem Messnetz gezeigt. Der Stadt Heilbronn ist also auch sehr daran gelegen, das Projekt in Zukunft auszuweiten.

Weitere Informationen über den Studiengang gibt es unter www.hs-heilbronn.de/up. Hier kannst du dich außerdem direkt für das zulassungsfreie Bachelorstudium mit sieben Semestern einschreiben – die Frist für das kommende Wintersemester läuft noch bis zum 24. September 2023.

Interview: Florian Deckert | Fotos: Hochschule Heilbronn