Kerstin Lüchtenborg von der Handwerkskammer Heilbronn im Interview
Meister statt Master? Wer eine Laufbahn im Handwerk einschlagen möchte, hat eine große Auswahl an Berufsbildern – und viele Perspektiven für die Zukunft. Trotzdem muss mehr getan werden, um die Attraktivität dieses Bildungswegs zu erhöhen. Was genau, das hat uns Kerstin Lüchtenborg, Abteilungsleiterin Berufsbildung bei der Handwerkskammer Heilbronn, erzählt.
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Frau Lüchtenborg, das Handwerk sucht händeringend Auszubildende und Fachkräfte. Warum sollten sich junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden?
Handwerksbetriebe punkten mit familiären Strukturen, flachen Hierarchien und spannenden Aufgaben. In einem überschaubaren Team kann sich jeder schnell einbringen und ist keine anonyme Nummer. Wenn ich junge Handwerker frage, was ihnen an ihrem Beruf am besten gefällt, dann höre ich oft, dass sie am Ende des Tages sehen können, was sie geschaffen haben. Das erfüllt sie mit Stolz und Zufriedenheit.
Was muss getan werden, damit sich wieder mehr junge Leute für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden?
Wir müssen die Wertschätzung für Handwerkberufe erhöhen, in die Berufsorientierung im Handwerk investieren und vor allem müssen wir jungen Menschen zeigen, was für ein toller und attraktiver Arbeitgeber das Handwerk ist. Das Handwerk ist der Ausbildungspartner von nebenan. Die Akteure der Handwerkskammer geben daher tagtäglich ihr Bestes, um junge Menschen für das Handwerk zu gewinnen. Zum Beispiel: mit den Ausbildungsberatern, mit Bildungspartnerschaften, mit unseren Technik- und Werkstatt-Tagen im Bildungs- und Technologiezentrum, auf Bildungsmessen, mit dem Lernspiel Meisterpower und mit unseren Aktivitäten in den sozialen Medien.
„Das Handwerk ist der Ausbildungspartner von nebenan“
Die Zahl der Absolventen mit Hochschulreife steigt auch in Baden-Württemberg seit Jahren. Ist ein handwerklicher Beruf auch für diese Menschen eine attraktive Alternative zum Studium?
Die hohen Abbruchquoten gerade auch in technischen Studiengängen zeigen, dass rund ein Drittel der Studienanfänger die falsche Wahl getroffen hat. Bei einer dualen Ausbildung ist das Theorie-Praxis-Verhältnis viel ausgewogener, um Karrierewege über die berufliche Aus- und Weiterbildung zu beschreiten. Absolventen mit Hochschulreife haben zudem die Möglichkeit, die Berufsausbildung zu verkürzen und sich bereits während der Ausbildungszeit Zusatzqualifikationen oder Erfahrungen über Ausbildungszeiten im Ausland anzueignen. Eine Meisterqualifikation ermöglicht den Weg in die eigene Selbstständigkeit und ist zudem mit dem Qualifikationsniveau auf Stufe 6 dem Bachelor im deutschen und europäischen Qualifikationsrahmen gleichgestellt. Nach oben sind bei der technischen oder betriebswirtschaftlichen Weiterbildung keine Grenzen gesetzt, beispielsweise durch den Erwerb des Betriebswirtes im Handwerk.
Quereinsteiger willkommen, politischer Rückenwind nötig
Gibt es auch Möglichkeiten, aus einer ganz anderen Branche den Quereinstieg ins Handwerk zu machen?
Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, die man entsprechend der individuellen Berufsbiografie der jeweiligen Person anpassen kann. So kann man etwa bei einem Berufswechsel einschlägige Berufserfahrungen anrechnen lassen. Durch eine sogenannte Externenprüfung können Personen, die über eine längere Zeit in einem Berufsfeld gearbeitet, aber keine Ausbildung darin absolviert haben, doch noch zu einem Berufsabschluss kommen. Auch im Bereich der Umschulung gibt es für Personen ab 25 Jahren Fördermöglichkeiten, um die Umschulung bereits mit Gehaltszahlungen zu verknüpfen, um den Lebensunterhalt während der Qualifizierungsphase abzusichern.
Was muss die Politik im Bereich Aus- und Weiterbildung für das Handwerk tun?
Wir fordern den Erhalt von Berufsschulen, vor allem auch im ländlichen Raum. Zudem muss für eine optimale Mobilität der Auszubildenden gesorgt werden. Bezahlbarer Wohnraum und Azubi-Tickets müssen gefördert werden, damit Auszubildende weiter entfernte Ausbildungsstätten und Berufsschulen besuchen zu können. Die Ausbildung von Lehrern muss im Hinblick auf die Berufsorientierung erheblich verbessert werden. Dies gilt besonders für Gymnasiallehrer. Und ganz wichtig: Die berufliche Aus- und Weiterbildung im Handwerk muss besser gefördert werden. Daher fordern wir eine gute Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten des Handwerks sowie die Verdopplung der Meisterprämie in Baden-Württemberg von derzeit 1.500 Euro auf 3.000 Euro.
Interview: Florian Deckert
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